Kalte Rotte statt heißer Verbrennung?

■ Wilhelmsburger Initiativen veranstalteten Hearing der Müllexperten Von Marco Carini

Wilhelmswerder oder Altenburg – das sollte diesmal nicht die Frage sein. Beim von den Wilhelmsburger Initiativen, der GAL und dem BUND am Samstag im Wilhelmsburger Bürgerhaus veranstalteten Müll-Hearing ging es um ganz andere Alternativen. Alternativen zur Abfallproduktion und zur Müllverbrennung. Denn da, so haben die VerbrennungskritikerInnen erkannt, kommt es statt auf den Standort auf den Standpunkt an.

Die eingeladenen ExpertInnen, allesamt nicht gerade Feuer und Flamme für Vahrenholts Verbrennungspläne, bezweifelten zuallererst die Notwendigkeit weiterer Müllverbrennungsanlagen. Wenn Hamburg aktiver die Müllvermeidung befördere, so waren sich die Referenten einig, sei die jährliche Entsorgungslücke auch nach einem Ausstieg aus Schönberg weit geringer als die von von der Umweltbehörde prognostizierten 240.000 Tonnen.

Besonders beim hausmüllähnlichen Gewerbeabfall gebe es bislang ungenutzte Vermeidungs- und Recyclingpotentiale, klagte Jens Ohde vom BUND. Ohde weiter: „Obwohl die städtischen Einrichtungen laut Abfallwirtschaftsplan Vorbildfunktion haben sollen, wurde bislang kein einziges öffentliches Unternehmen verpflichtet, ein betriebliches Abfallkonzept zu erstellen“.

Der Vahrenholtschen Einschät-zung, ein „Müllkraftwerk“ in Wilhelmsburg bei gleichzeitiger Stillegung des dort vorhandenen Ölkraftwerks würde die Luftbelastung verringern, widersprach der Epidemologe Wilfried Karmaus vom Hamburger Nordeg-Institut für Gesundheitsforschung: „Die Luftbelastung wird bei einzelnen Giften, besonders Quecksilber und Blei, höher werden“.

Über die gesundheitlichen Ge-fährdungen, die von modernen Müllverbrennungsanlagen aus-gingen, gebe es „viele Einschät-zungen, aber wenig gesicherte Erkenntnisse“, da entsprechende Untersuchungen „allerorts systematisch verhindert würden“. Wenn schon Verbrennungsanlagen gebaut würden, sollten sie nur da ent-stehen, wo es „keine Vorbelastung der Luft“ gebe. Doch die sei gerade im Raum Wilhelmsburg „besonders hoch“.

Mehrere Experten plädierten für die mechanisch-biologische Vorbehandlung des nicht vermeidbaren Abfalls. Dabei geht es darum, den Müll zunächst durch Sieben, Sichten und Magnetabscheidung von Stör-, Wert- und Schadstoffen zu befreien, um ihn anschließend sauerstoffrei (anaerob) zu vergären und ihn dann unter Sauerstoffzufuhr (aerob) zu kompostieren – die sogenannte „kalte Rotte“.

Claudia Noortwijk vom Abfall-verband Freiburg, der zur Zeit eine entsprechende Anlage baut: „Durch dieses Verfahren wird die behandelte Müllmenge in gleichem Maß reduziert wie durch die Ver-brennung. Denn auch hier bleiben Schlämme übrig, die anschließend nur noch deponiert und für den Straßenbau verwendet werden können“.

Karl Hibbeln von der Umweltbe-hörde, auf der Anhörung der ein-zige Vertreter der offiziellen Hamburger Müllpolitik, konnte sich mit den Abfall-Alternativen erwartungsgemäß nicht anfreunden: „Wir haben uns mit diesen Konzepten befaßt und uns nach langer Abwägung für die Verbrennung als umweltfreundlichste Lösung entschieden.“ Immerhin räumte der Behördenvertreter Versäumnisse bei der Planung der dritten Müllverbrennungsanlage auf Hamburger Boden ein: „Der Zeitraum für eine öffentliche Diskussion war sicher zu kurz“. Das aber läßt sich noch ändern.

Fotos: Marco Carini