Sanssouci
: Vorschlag

■ Aus Großmutters goldenem Sprichwortkästlein: The Schramms im Loft / Ein persönlicher Kunstgenuß des Herrn Kultursenators: Die Reihe "Kunst-Zu-Kunft"

Ja, kann man denn so etwas überhaupt singen: „Where were you as I lay dying?“ Kann man, wenn man einmal unwiderruflich tot ist wie in diesem Song, noch zurückblicken? Rein logisch eigentlich unmöglich, aber Dave Schramm aus Hoboken, New Jersey, kann, und er macht sich dabei nicht lächerlich. Daß sein jüngstes und mittlerweile drittes Album auch noch „Little Apokalypse“ heißt und auf dem Cover einen schwer zergrübelten Mann zeigt, in dessen Kopf lauter kleine Friedhofskreuze wohnen, rundet die Sache ab. Nette Symbolik, denkt man. Gleich neben dem Kopf steht allerdings – offenbar wieder eine nette Symbolik – ein alter Holzstuhl, schlicht und wesentlich wie Dave Schramms Liedchen, und so geht es denn auch nicht nur melancholisch zu. Immer hübsch gerade heraus mit dem Sinnieren über Vergänglichkeit, mit dem „darkened eye“, den „wild and unfortunate ways“, wie man zu offenbaren aufgefordert wird. Grübelei hat tatsächlich was von freundschaftlichem Schulterklopfen, wenn Dave Schramm da im breitesten Hickory-Akzent „Tell me the worst of your sorrows“ knödelt.

Sie ist schon bezirzend und dabei irgendwie skurril, diese Mixtur aus Folk, Country und Pop, aus grottentraurigen Texten und unverdrossen in die Zukunft schrammelnden, meist so richtig schönen Melodien, diese unverhohlene Wertschätzung von uramerikanischer Tradition und Weisheiten, die aus dem goldenen Sprichwortkästlein der Großmutter zu stammen scheinen. Zum Beispiel „Everybody knows that hell prepares and heaven waits.“ Oder wie wär's mit „Solitude leads to sorrow“ und „Never hold heaven, always be in this real world“? Selbst das zutiefst Philosophische hat bei Schramm, langjähriger Verehrer von Emily Dickinsons Lyrik, was von blank gescheuertem Küchentisch, und das kann nicht nur Projektion sein, sondern liegt wohl doch daran, daß das bleichgesichtige Ex-Mitglied von Yo La Tengo hauptberuflich als Werkkundelehrer arbeitet. Neuerdings wimmelt es bei Schramm auch ein bißchen von jenen Engeln, die gerade modern sind, trefflich gesäumt von jeder Menge „cool organ stuff“. Gott sei Dank ersäuft der kirchliche Aspekt jedoch in den gelegentlichen Feedbacks und hawaiianischen Ausflügen von Schramms vorzüglichem Lap-Steel-Gitarren-Spiel. Ganz klarer Fall: Männer, die in Würde älter werden, machen Musik, mit der man in Würde älter werden kann. Anke Westphal

The Schramms, heute abend ab 21 Uhr im Loft am Nollendorfplatz.

NachschlagEin persönlicher Kunstgenuß des Herrn Kultursenators: Die Reihe „Kunst-Zu-Kunft“

Das Büro des Senators füllt sich. Vernissage kurz nach der Mittagspause, wer läßt sich schon die Chance zum kleinen Ausbruch aus dem Trott entgehen. Suchend gleiten die Blicke der Mitarbeiter über die leeren Wände, bis sie zu den Ecken des Raums gelangen. Ihr Grinsen bei der Entdeckung der fett und faul auf dem Boden lümmelnden Objekte von Daniela von Waberer verbirgt eine Sekretärin ganz schnell hinter den Händen. Später streichelt sie die kleinste Skulptur, die rosa und nackt von der Schreibtischkante zu plumpsen droht und „wie eine Katze“ ihrer Hand entgegenbuckelt. „Das hat Charme“, läßt sich der Senator Ulrich Roloff-Momin ein erstes Urteil entlocken, bevor er über die Überraschungsmomente der Installation improvisiert.

Daniela von Waberer mußte das Büro vermessen und teilweise im Modell nachbauen, bevor sie mit Sandsäcken die genaue Plazierung ihrer Skulpturen erproben konnte. In Gips geformt und mit Wachs hautfarben überzogen, scheinen die amorphen Volumen wie Hefeteig die Möglichkeit in sich zu tragen, weiter zu wachsen. Träge macht sich ihre Masse auf einem der Freischwinger breit, die rund um den Konferenztisch stehen, während ein Klecks frech die Kufe eines anderen Stuhls blockiert. Über die Hektik von Terminabsprachen und durchrauschenden Informationen triumphieren sie in bauchiger Körperlichkeit.

Objekt von D. v. Waberer Foto: J. Neumann

Schon über zwanzig Ausstellungen von Absolventen der Hochschule der Künste hat der Senator seit seinem Amtsantritt in seinem Büro gesehen. Neben der Verwaltung im Europa-Center bilden allein die Besucher des Senators das glückliche Publikum der Reihe „Kunst-Zu-Kunft“, die von Professor H.-J. Diehl konzipiert wird. Aber noch keiner Ausstellung, spekuliert der Senator, habe er soviel Kraft zugetraut, die Atmosphäre der Gespräche zu lockern. Katrin Bettina Müller