■ Nach dem Erfolg der Reformkommunisten in Ungarn
: Die Aussöhner

Die ungarischen Sozialisten haben ihren Wählern wenig versprochen und sich selbst dafür um so mehr vorgenommen. Sie wollen nicht nur das eigene Land aus der Wirtschaftskrise führen. Sie haben auch die historische Aussöhnung mit den Nachbarländern, namentlich Rumänien und der Slowakei, als erstrangiges Ziel ihrer Außenpolitik angekündigt. Sollte dieses Vorhaben gelingen, wäre es ähnlich epochal wie die deutsch-französische Aussöhnung. Paradoxerweise könnte das Vorhaben jedoch genau an seiner Leichtigkeit scheitern, daran, daß es gewissermaßen nur einer Unterschrift bedarf.

Mit Blick auf die in den Nachbarländern lebenden ungarischen Minderheiten hatte József Antall, der erste postkommunistische Premier, einst gemeint, er fühle sich in seiner Seele als Ministerpräsident von fünfzehn und nicht nur von zehn Millionen Ungarn. Daß Ungarn im Zuge des Trianoner Friedensvertrages (1920) zwei Drittel seines Territoriums verlor und Millionen Menschen über Nacht Bürger anderer Staaten wurden, bildete fortan den Ausgangspunkt ungarischer Außenpolitik: Zur Vorabbedingung einer Erklärung über die Unverletzlichkeit der Grenzen machte sie das Wohlergehen der ungarischen Minderheiten. Dabei benutzte die nun abgewählte Regierung den Streitpunkt der ungarischen Minderheiten in den letzten vier Jahren immer wieder, um vor allem Rumänien und die Slowakei außenpolitisch zu isolieren und eine Vormachtrolle in der Region für sich zu beanspruchen.

Die Sozialisten haben diesem zwischen Konfrontation und Illusion schwankenden Konzept eine Absage erteilt. Denn Ungarn hat dies in der Vergangenheit zu viel Ansehen vor allem im Westen gekostet. Die Sozialisten zeigen sich bereit, die seit langem debattierten Grundlagenverträge zwischen Ungarn einerseits und Rumänien bzw. der Slowakei zu unterschreiben und die Minderheitenrechte gesondert zu regeln. Damit wären die Politiker in Bukarest und Bratislava zwar endlich zu beruhigen, die Ungarn bisher noch immer (militärische) Expansionsgelüste vorgeworfen haben. Eine Aussöhnung jedoch wäre damit nicht erreicht.

In Rumänien weist vieles, in der Slowakei manches darauf hin, daß eine mehr oder weniger von nationalistischen Gefühlen beherrschte oder mit Nationalismus operierende politische Elite auch nach dem Abschluß eines Grundlagenvertrages nicht bereit sein wird, den ungarischen Minderheiten mehr Rechte zu gewähren. Das könnte zu deren weiterer Radikalisierung in den jeweiligen Ländern führen, der die ungarische Außenpolitik letztlich doch Rechnung tragen müßte.

Schon jetzt sprechen prominente und einflußreiche ungarische Politiker in Rumänien und der Slowakei davon, daß die ungarische Minderheit infolge einer sozialistischen Regierung im Mutterland allein gelassen werde und noch weniger hoffen könne, mehr Rechte im Bildungs-, Kultur- und Selbstverwaltungsbereich zu bekommen. Und viele einfache Ungarn in Rumänien und der Slowakei identifizieren die Sozialisten noch mit der Kádár-Diktatur, für die sie schlicht nicht existierten. Die Sozialisten müssen nun zwischen den Hoffnungen rumänischer und slowakischer Politiker und dem Mißtrauen der ungarischen Minderheiten ihnen gegenüber einen Weg finden. Sie sollten sich dabei ruhig Zeit lassen. Keno Verseck, Budapest