Irmgard Möller 21 Jahre in Haft – und kein Ende?

■ Landgericht Lübeck fordert psychiatrisches Gutachten

„Ich würde gerne heute hier mit Frau Möller diskutieren“, sagte Lübecks Bürgermeister Michael Bouteiller (SPD) im Februar auf einer Veranstaltung zur Freilassung von Irmgard Möller. Diesem Wunsch konnte er bisher nicht nachkommen, denn trotz einer breiten Öffentlichkeit in den letzten zwei Jahren ist nix passiert, Irmgard Möller sitzt weiterhin im Knast. Und das inzwischen über 21 Jahre. Sie hat fast ihr halbes Leben im Knast verbracht. In dieser Zeit wurden unterschiedlichste Sonderhaftbedingungen gegen sie angewandt: Einzel- und Kleingruppenisolation, verschärfte Besuchsüberwachung, Postzensur, Trennscheibenbesuche, Kontaktsperre usw. Ihre Gesundheit ist durch die langen Knastjahre und die Haftbedingungen stark angegriffen. Dennoch steht sie zu ihrer politischen Geschichte. Über ihre Perspektive nach über 21 Jahren Knast sagte sie in einem Spiegel-Interview: „Ich will hier rauskommen und draußen wieder politisch arbeiten.“ Zur Zeit läuft ein Anhörungsverfahren vor dem Landgericht Lübeck, in dem darüber entschieden wird, ob sie endlich freigelassen wird. Wie bei anderen politischen Gefangenen auch, besteht das Gericht darauf, daß bei der Anhörung ein mit ihrer Hilfe erstelltes psychiatrisches Gutachten vorliegt. Dieses Gutachten lehnt Irmgard Möller ab. Im Folgenden dokumentieren wir ihre Erklärung:

„Seit eineinhalb Jahren hängen diese Anhörungsverfahren scheinbar an der Gutachterfrage fest – Psychiater sollen es sein aus der Gewißheit, daß sich darauf sowieso niemand von uns einläßt, und mit dem Kalkül, daß wir ja selbst Schuld wären, wenn nichts entschieden werden kann.

In meinem Verfahren hier in Lübeck hatte vor Monaten ein vom Gericht bestellter Psychiater es übernommen, ein Gutachten nach Aktenlage zu erstellen. Nachdem er Berge von Akten, die Protokolle aus 22 Jahren Ausforschung jeder Lebensäußerung, gesehen hatte, stellte er fest, daß er sowieso nichts sagen kann. Ich hab' am 24. April 94 direkt mit ihm gesprochen, um das Gewürge zu beenden – auch das, daß sich viele Leute damit beschäftigen, welches denn nun die angemessene Fachrichtung sein soll, mich/ uns zu begutachten. Das hat nur einen Sinn, davon abzulenken, daß es eine politische Entscheidung ist, ob einer von uns rauskommt oder nicht. Genauso, wie es eine politische Entscheidung ist, den meisten von uns nach acht, zehn oder mehr Jahren durch Kronzeugen und andere Konstruktionen noch mal ein ,Lebenslänglich‘ anzuhängen. Kanther hat Ende März noch mal betont, daß nur freikommt, wer „bereue und abschwöre“. Das ist die Ebene, auf der es entschieden wird. Ich habe dem Gutachter gesagt, daß es ein politischer Konflikt ist – von uns aus. Wir haben uns bewußt kollektiv als politischer Antagonist gegen dieses System organisiert. Und vom Staat aus, der es auch nie anders begriffen hat. Über 20 Jahre Kriegsführung gegen uns belegen das, wobei eine zentrale Bekämpfungsstrategie darauf zielt, mit Sonderjustiz und Sonderhaftbedingungen die Normalität dieser Verfahren zu behaupten. Die Tatsache, daß jetzt Psychiater zum Einsatz kommen sollen, knüpft ja an die Linien der psychologischen Kriegsführung aus den ersten Jahren der RAF wieder an, wonach jede/r, der hier wagt anzugreifen oder Widerstand zu leisten, natürlich krank sein muß. Darüber hinaus sind sie brennend daran interessiert, die Wirkung von jahrzehntelanger Isolation ausforschen zu lassen, um sie noch effektiver anwenden zu können, das ist mit uns nicht zu machen. Die Blockade oder Ablenkung, die durch die Gutachterfrage entstanden ist, muß beseitigt werden, indem er selbst die Konsequenz zieht, daß in diesem Verfahren Psychiater nichts zu suchen haben. Ich habe auch darüber gesprochen, daß es um die Freiheit von uns allen geht und sie bei mir – wenn sie mich nach 22 Jahren weiter gefangenhalten wollen – dabei sind, Maßstäbe für alle von uns festzulegen. Das ist allen bewußt.“