Frau im sozialen Dressing

■ Low-Tech-Gender-Studies: Martha Roslers Videos in Stuttgart und Brüssel

Martha Rosler sieht in ihren Videoarbeiten keine vornehmliche Videokunst, vielmehr sind Videos Teil der Produktion. So arbeitet sie derzeit als Akademiedozentin und Performerin, schrieb Texte, die sich gegen die Opfer-Bilder in der Dokumentarfotografie richteten, und entwickelte 1989 ein sechs Monate dauerndes Ausstellungs- und Aktionsprojekt gegen Obdachlosigkeit und Luxussanierung in New York City. Erst seit kurzem akzeptiert sie den Vertrieb ihrer Arbeiten durch eine Galerie. Trotzdem war es der Weg durch die öffentlichen Institutionen, der sie auf einer kleinen Tour mit Videos im Gepäck während der letzten Maiwoche ins Künstlerhaus Stuttgart und nach Brüssel in das Palais des Beaux Arts führte.

Ihr Video „Semotics of the kitchen“ (1975) basiert auf einer mit starrer Schwarzweißkamera abgefilmten Performance. Martha Rosler steht hinter einem Tisch und buchstabiert das Alphabet der Küchenhilfen durch. In nur auf den ersten Blick typischen Handbewegungen exerziert sie eine Küchengeräte-Demo mit egg-beater, einer Hamburger Presse als klapperndem Gebiß oder der wie ein Turngerät umgenutzten Nudelrolle. Lange Messer oder den Eispickel traktiert sie wie Mordwerkzeuge in Hollywoodfilmen und widersetzt sich zugleich mit den Waffen der Köchin ihrer Rolle als Frau. Auch das nachfolgende Video operiert von einem feministischen Standpunkt aus: „Vital statistics of a citizen, simply obtained“ von 1977 zeigt eine stellenweise ins parodistische umkippende Vermessung der weiblichen Versuchsperson durch zwei Männer im Weißkittel. Nach eingehender Datenerfassung wird die Person in einer Parallelhandlung als Braut oder ins kleine Schwarze eingekleidet: Das Unumstößliche der Statistik findet seine Fortsetzung im nur scheinbar auswechselbaren Rollenmodell durch soziales Dressing.

In anderen Filmen weitet Rosler ihre Aktionen auf den öffentlichen Raum aus, dessen Funktionieren sich allerdings von den geläufigen Bildern unterscheidet. „Secrets from the Street: No disclosure“ (1980) zeigt das Zeichensystem – Graffitis, Ladeninschriften, Wandgemälde, Musik – der hispanischen Bevölkerung in San Franciscos Mission Street-Gegend. Zu den Super-8-Aufnahmen aus dem fahrenden Auto beschreibt eine Stimme das Privileg der „closed door culture“, die im Unterschied zur „street culture“ ihre Türen vor fremden Besuchern verschließen kann. Die Straße dagegen ist offen – auch für die Dokumentaristin. Roslers drive-by- shooting demonstriert ihre Distanz zu den „Geheimnissen der Straße“, die hier nur scheinbar offenliegen. Ablesbar war jedoch, daß San Francisco zu dieser Zeit eine „Manhattanisierung“ erlebte, in deren Verlauf die Gegend sich durch Vertreibung und Neubauten schleichend „veredelte“. „Seattle Hidden History“ ist eine ebenfalls ortsspezifische Videoarbeit, produziert für das normale Fernsehprogramm. Die kürzlich fertiggestellte Serie von einminütigen Spots wurde bisher allerdings wegen Verwendung des offiziellen Stadtlogos (stark stilisierter Indianer mit Federbusch) noch nicht ausgestrahlt. Eine Linguistin – sie erforscht die zahlreichen, inzwischen jedoch weitestgehend verlorenen Sprachen in der Gegend – erklärt die Herkunft des Stadtnamens und demonstriert mehrfach dessen korrekte Aussprache: „Now try: Sil-Asch – Sii- Asch“. Andere Spots beschäftigen sich mit Kulturzentren, Drogenprävention, der Aktualität indianischer Kulte oder der Frage, wie überhaupt die heutigen Urban-Indians zu definieren seien.

Martha Rosler besteht auf der einfachen Machart ihrer Arbeiten, um andere zur Nachahmung anzuregen. Sie wehrt sich damit zum einen gegen den enormen Kostendruck, der durch die etablierten Standards computergestützter Videokunst verursacht wird. Zudem verwehrt sie sich dagegen, daß von Künstler/innen neuentwickelte visuelle Strategien allzuoft durch die Werbung abgezogen werden. Ihr vermutlich billigstes Tape „If it's too bad tu be true, it could be DISINFORMATION“ (1985) aber basiert gerade auf Nachrichtenmaterial über Manöver in Puerto Rico, die (wie schon 1983 vor der Granada-Invasion) eine Invasion Nicaraguas durch die US-Militärs ankündigten. Einige der von Rosler benutzten Videokassetten waren jedoch zu nahe an einen Magneten gekommen, die Ton- und Bildspur somit teilweise zerstört. In der Folge kombinierte sie einige der gefundenen Sendungen und legte die vernehmbaren Textfetzen als Rollschrift auf das laufende Bild. Die magnetisch zerstörten NBC Nightly News, ihre verschriftlichte Lückenhaftigkeit und die Werbeunterbrechungen für Canon-Kameras und Armeedienst halten die Absurdität einer propagandistischen Beschuldigung Fidel Castros als Kokaindealer fest und erinnern zugleich an die übrigen blinden Flecken der offiziellen Berichterstattung.

Das aufwendigste der gezeigten Bänder ist das 1988 entstandene „Born to be sold: Martha Rosler reads the strange case of Baby S/M“. Hier spricht die Autorin, in der Tradition der früheren Erzähl- Videos, als Woody-Allen-haftes Sperma aus dem Eileiter, als Retortenbaby im Gitterbett oder als hochschwangere Leihmutter in der wohlsortierten Kinderstube. Der Gerichtsfall „Baby M“ – so lautet auch das im Video reichlich ausgeschlachtete Dokudrama, das RTL 2 passenderweise zeitgleich ausstrahlte – handelt vom Besitzstreit um ein durch künstliche Befruchtung gezeugtes Kind. Martha Roslers halbstündige Sendung fragt nach dem Eigentum – was erhält die Leihmutter bei vorzeitigem Ende der Schwangerschaft; wie stehen die Aktien der Fertilisations-Firmen? – und betrachtet dabei den Status der sich reproduzierenden männlichen Mittelklasse durch Indienstnahme schlechter verdienender Frauen. Als Resümee legt der durch Paper Tiger TV ausgestrahlte Film den austragenden Frauen nahe, sich bis zur Klärung der Verhältnisse wie Prostituierte zu organisieren. Jochen Becker