■ Ende der Lohnmauer
: Diepgens große Rolle

Die gestern beschlossene Lohnangleichung für den öffentlichen Dienst in Ostberlin kennt zwei Sieger: die ÖTV und den Regierenden Bürgermeister. So unterschiedlich ihre Motive auch waren, verschafften sie sich gegenseitig in der öffentlichen Außenwirkung Respekt. So nutzte die ÖTV geschickt die Tarifverhandlungen über die Arbeitszeitverkürzung, um den Senat an frühere Versprechungen zur Lohnangleichung bis Ende 1995 zu erinnern. Je mehr der Innensenator und Christdemokrat Dieter Heckelmann am Verhandlungstisch den bösen Buben spielte, um so besser brachte sich sein Parteikollege Diepgen ins Rampenlicht. Mit seinem sozialen Gestus spielte er auch noch die Sozialdemokraten in die Ecke. Sie agierten zwar erfolgreich im Hintergrund und sicherten der Koalition den Rücken – die Früchte aber darf Diepgen nun ernten. Bei seinem Vorpreschen konnte Diepgen auf den ideologischen Vorrat zurückgreifen, mit dem die CDU die Vereinigung von Anfang an vorantrieb. Der Rückgriff auf pathetische Formeln, wonach Berlin die „Werkstatt der Einheit“ sei und daher viel tiefergreifenderer und zügigerer Maßnahmen als anderswo bedürfe, ist an die nörgelnden Parteifreunde außerhalb der Landesgrenzen gerichtet. Denn hier braut sich innerhalb der Tarifgemeinschaft deutscher Länder der Widerstand auch mancher CDU-regierter Bundesländer zusammen. In der Großen Koalition, die vor sich hindümpelt, kann Diepgen zum ersten Mal seit langem auf einen großen Erfolg verweisen. Zugleich kann er sich nun, rund anderthalb Jahre vor der nächsten Landeswahl, in jener Rolle feiern lassen, die er von Anbeginn gerne gespielt hätte: ein Landesvater zu sein. Severin Weiland