Marken-Quolität

■ Zwischen Quote und Qualität - Die 27. Mainzer Tage der Fernsehkritik

Es gab eine Zeit, da ging es den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern gut. Das Programm war von anerkannter Qualität, die Zuschauer waren treu, die Gebühren stimmten und die Werbeeinnahmen flossen reichlich. Die Zeit ist vorbei. Schuld daran ist der medienpolitische „Urknall“: Seit der Einführung des Privatfernsehens vor zehn Jahren brechen den Öffentlich- Rechtlichen die Werbegelder weg, Sport- und Spielfilmrechte werden unbezahlbar, die Honorare für gefragte Programmmacher schießen in die Höhe. Kurz: ARD und ZDF stecken in einer Finanzkrise.

Darum und wie die Existenz der Öffentlich-Rechtlichen in dieser Krise gesichert werden kann, ging es Anfang der Woche bei den 27. Mainzer Tagen der Fernsehkritik. Dabei stellte das ZDF als Veranstalter bereits im Titel klar, wie die Lösung des Problems auszusehen habe: „Qualität hat ihren Preis.“ So spricht der in Bedrängnis geratene Händler, der einen skeptischen Kunden doch noch zum Kauf einer teuren Ware bewegen will. Spätestens hier zeigt sich, daß die Finanzkrise auch eine Legitimationskrise ist. Was ist Qualität? Was der angemessene Preis?

Fragen, die während der Mainzer Tage reichlich ventiliert, variiert und verziert wurden. Die beiden Senderchefs ließen in ihren Eingangsreferaten an der Qualität ihrer Programme erst gar keinen Zweifel aufkommen. Wortreich beklagten sie den „Verfall der Idee von öffentlicher Kultur“ und beschworen die Notwendigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als „Leitkommunikator“ in einer „auseinanderdriftenden Mediengesellschaft“.

Markenbewußtsein

Allein ihre Sprache war veräterisch. Zwar betonte der ARD- Vorsitzende Jobst Plog, daß man die Öffentlich-Rechtlichen nicht nur als „Wirtschaftsgut“ betrachten solle, sondern als Garant dafür, daß nicht nur die Kommunikation möglich sei, die „sich rechnet“. Gleichzeitig aber sprach er schon mal von der „Produkterwartung des Publikums“ und von der Notwendigkeit, „Marken“ zu „kreieren“, wo er gute Programme meinte. ZDF-Intendant Dieter Stolte redete gar von „Meinungsführerschaft“, wo es allenfalls „Informationsführerschaft“ heißen darf. Sprachen hier Manager oder Programmacher?

Dementsprechend dominierte die Frage nach dem Preis die nach der Qualität. Mal abgesehen vom gerade entbrannten Streit um die Gebührenverteilung waren sich ARD und ZDF darüber einig, wie man einen Teil des dringend benötigten Geldes beschaffen könne. Nämlich durch die Aufhebung der Werbegrenze 20 Uhr. Die „volumenneutrale Umschichtung“, wie Stolte sie, vom Wohlklang der Worte sichtlich berauscht, immer wieder nannte, stieß jedoch bei den anwesenden Staatssekretären und Kritikern auf Widerstand. Es sei ein essentielles Merkmal der öffentlich-rechtlichen Programme, die Zuschauer in dieser Zeit nicht mit Werbung zu behelligen. Eine müßige Diskussion: Schon jetzt dürfen ARD und ZDF Sponsoring auch nach 20 Uhr schalten: ob Nescafé vor Aspekte per Display als Geldgeber annonciert oder ob an dieser Stelle ein Werbespot läuft, nimmt sich nicht viel. Eine ganz andere Frage ist, ob die Öffentlich- Rechtlichen überhaupt Werbung haben sollen oder ob sie nicht besser ausschließlich allein über (erhöhte) Gebühren finanziert werden. Das wurde jedoch nur am Rande diskutiert.

Eine weitere Geldquelle sehen die Intendanten im Pay-TV. Einvernehmlich forderten Plog und Stolte, an diesem „Zukunftsmarkt“ beteiligt zu werden. Eine weitere Zersplitterung des schon jetzt auf ARD, ZDF, Arte und 3 sat verteilten Programmangebots oder die Entstehung eines Elite-Fernsehens für die zahlungskräftige Kundschaft sei nicht zu befürchten, weil man Pay-TV nur als „Randnutzung“ betreiben wolle.

Alkoholprobleme

So klar die Vorstellungen beim Preis waren, so offen waren die Konzepte des Qualitätsbegriffs. An Formulierungen, die die zwei großen „Q“ – die per Programmauftrag verordnete Qualität und die geldbringende Quote – variationsreich ins Verhältnis setzten, sollte es die ganze Tagung über nicht fehlen. Einige Beispiele: a) „Es hat keinen Sinn, gegen die Menschen anzusenden“ (Plog), daher müssen Tennis und Fuball auch bei den Öffentlich-Rechtlichen Vorrang haben. b) ZDF- Programmdirektor Oswald Ring sprach dialektisch: Das ZDF sei ein Programm, das „die Mehrheit sucht, aber die Minderheiten nicht vermeidet“. Das klingt gut. c) Der ehemalige premiere-Programmdirektor Rudi Klausnitzer wollte sich endlich vom Gedanken eines mehrheitsfähigen Programms verabschieden und statt dessen zielgruppenorientierte Spartenprogramme fahren: „Lieber wenige ernst nehmen, als viele für dumm verkaufen.“ d) Die NDR-Unterhaltungschefin Verena Kulenkampff drückte ein Auge zu: Die ARD dürfe ruhig auch ein „geschmackloses Format“ wie zum Beispiel die Zotensendung „Gaudimax“ haben, „was uns von den Privaten unterscheidet, ist, daß es bei einem bleibt“. e) Ihr WDR- Kollege Enrico Platter dagegen meinte, „besoffene Shows“ wie zum Beispiel Mann-O-Mann (Sat.1) werde es beim WDR nie und nimmer geben, man wolle den „humanen Umgang mit den Menschen“. f) Der Filmproduzent Günter Rohrbach meinte, ARD und ZDF müßten sich endlich von ihrer aus „anderen Medien importierten Originalitätssucht“ verabschieden. Sie sollten sich auf das besinnen, was sie am besten können: nicht großer Spielfilm, sondern das kleine intime Fernsehspiel und die „Nähe“ zum Zuschauer. Eine einzige Teilnehmerin fiel aus dem homogenen Veranstaltungsrahmen und versuchte sich an einer Fundamentalkritik. Die Grünen-Politikerin Antje Vollmer bezeichnete die Krise der öffentlich-rechtlichen schnörkellos als eine der Kreativität des Apparats: Der typische Programmmverantwortliche sei „fünfzig plus x, männlich, parteiloyal, immer ein bißchen müde und hat leichte Alkoholprobleme“. Im Übrigen seien „alle Journalisten Feiglinge“ (hier ging ein Raunen durch den Saal) – selbstgerechte, wenn nicht skrupellose Mietgehirne, die nur um die eigenen Pfründe besorgt sind oder gar „Mediengewalt“ ausüben. Seltsamerweise jedoch bemühte Vollmer gerade die Reaktionen auf die Verschärfung des saarländischen Presserechts als Beispiel für die „Dummheit“ der Medien. Sie versteiften sich auf eine Kampfsituation zwischen Politik und Journalismus, anstatt in eine „ehrliche Debatte“ über diese Divergenz einzusteigen. Letztlich versagten die Medien am eigenen Objekt. Eine kontrollierende Selbstreflexion der „vierten Gewalt“ finde nicht statt. Gemessen an Vollmers Vorstoß traten die professionellen Fernsehkritiker eher moderat auf. Fleißig trugen sie noch einmal die gesammelten Bonmots ihrer TV-Beobachtung vor. Launige Medienkritik wechselte mit nicht enden wollenden Aufzählungen von „Fixpunkten des Qualitätsfernsehens“. Ansonsten mahnten die TV-Auguren wiederholt an, daß das Quotendenken nicht das Qualitätsdenken verdrängen dürfe. Ein Kritiker aus den neuen Ländern beklagte das „ostdeutsche Defizit“ in ARD und ZDF. Ein anderer erinnerte daran, daß Fernsehen nicht so sehr ein wirklichkeitsabbildendes als vielmehr ein wirklichkeitskonstituierendes System sei, und forderte, es als solches kenntlich zu machen. Neue Gedanken wurden nicht vorgetragen, wozu auch – die alten sind ja noch gültig.

Selbstverbrühungen

Dennoch ist es allmählich an der Zeit, das öffentlich-rechtliche Fernsehen zu verteidigen. Vor allem gegen sich selbst. Die Mainzer Tage sind symptomatisch für eine sich breitmachende Selbstverbrühung der Fersehkaste im eigenen Saft. Die geladene Kritikerschaft macht das Ritual längst mit, sie ist – bis auf wenige Ausnahmen – nicht Störfaktor, sondern eher die Sudpfanne, die den austretenden Juice wieder und wieder über den Braten gießt. Die Senderchefs haben recht, wenn sie eine schwindende gesellschaftliche Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Fernsehens diagnostizieren. Die Gegenfrage, ob man vielleicht den Anschluß an die Gesellschaft verloren habe, stellen sie wohlweißlich nicht. Dabei gibt es genug Indizien für gravierende Mängel: Wo sind die kritisch-respektlosen Programme (von der Zangengeburt „ZAK“ einmal abgesehen), wo ist das aufklärerische Medienprogramm, wo ein Ausländerprogramm, der andere Blick der Minderheiten für die Mehrheit?

Die Senderchefs richteten ihre Hilferufe vor allem an die Politik, die ihnen bitteschön „eine Bestands- und Entwicklungsgarantie“ geben solle. Mittelschwer selbstherrlich erscheint es da, wenn Stolte und Plog, einen öffentlichen „Medienrat“, wie er im Weizsäcker-Report (taz vom 27.5.) vorgeschlagen wird, für sich rundweg ablehnen. Was die Öffentlich- Rechtlichen im allgemeinen und das Mainzer Fronttheater im besonderen brauchen, ist eine Öffnung der Diskussion. Martin Muser