Zweikampf um EU-Präsidentschaft

Der Niederländer Lubbers wie der Belgier Dehaene sind römisch-katholisch und konservativ / Bonn und Paris wollen Dehaene / Lubbers will die „Bevormundung“ nicht hinnehmen  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Der niederländische Premierminister Ruud Lubbers will die kleineren Mitgliedsländer der Europäischen Union aufrütteln. Seit Tagen warnt er sie vor einer deutsch-französischen Bevormundung. Der konservative Niederländer wird seit Jahren als Nachfolger von Jacques Delors an der Spitze der Europäischen Kommission in Brüssel gehandelt. Jetzt, kurz vor der Entscheidung, taucht plötzlich ein anderer Name auf: Paris und Bonn haben sich Anfang der Woche auf den belgischen Premierminister Jean-Luc Dehaene geeinigt.

Sieben weitere EU-Regierungen sollen grundsätzlich damit einverstanden sein, heißt es. Doch das Rennen um die Präsidentschaft der Europäischen Kommission ist damit noch nicht gelaufen. London hat sich auf den Niederländer Lubbers festgelegt und will es notfalls auf eine Kampfabstimmung ankommen lassen. Das letzte Wort wollen die Regierungschefs auf ihrem Gipfel in Korfu am 24. und 25. Juni sprechen und das allerletzte dann das neugewählte Parlament in Straßburg, das seit dem Inkrafttreten der Maastrichter Verträge das Recht hat, über den Kommissionspräsidenten mitzuentscheiden.

Die belgischen Christsozialen suchen bereits einen Nachfolger für ihren Premierminister. „Wir werden Dehaene nichts in den Weg legen“, so der CVP-Chef, „wenn er nach Europa gehen will.“ Rein geographisch muß Dehaene nur die Wetstraat hinuntergehen, um von seinem belgischen zum europäischen Amtssitz zu kommen.

Voraussichtlich werden die Wahlen zum Europäischen Parlament wieder einen leichten Vorsprung für die Sozialistische Fraktion bringen. Aber sowohl Dehaene wie Lubbers sind römisch-katholisch-konservativ. Der bisher einzige als möglicher Kandidat gehandelte Sozialist, der spanische Premierminister Felipe González, will nicht ins verregnete Brüssel ziehen. Die Regierungschefs haben sich schon im vergangenen Jahr darauf verständigt, daß der neue Kommissionspräsident aus ihrer Mitte kommen, also Erfahrung als Regierungschef haben soll. Und nach der traditionellen Arithmetik der EU kommt auf einen Roten ein Schwarzer, auf ein großes Heimatland ein kleines und auf den Süden der Norden.

Das paßt auf Dehaene wie auf Lubbers, die auch sonst viele Ähnlichkeiten haben. 53 und 55 Jahre alt, beide Jesuitenzöglinge, beide Wirtschaftswissenschaftler, beide zuhause zunehmend unpopulär, aber beide auch mit einem Geschick für schwierige Kompromisse, das sie an der Spitze von großen Koalitionen bewiesen haben. Der visionsarme Macher Dehaene hat gegenüber dem kreativen und manchmal brillierenden Lubbers einen entscheidenden Vorsprung: Kohl mag ihn – nicht nur, weil er eine ähnliche Silhouette hat. Dem Niederländer Lubbers verzeiht der Kanzler nicht, daß er die deutsche Vereinigung eher mißtrauisch begleitet hat.

Als Außenseiter halten sich noch der belgische Ex-Premier Wilfried Martens bereit sowie der Gatt-Präsident Peter Sutherland und der Gatt-Verhandlungsführer der EU-Kommission, Sir Leon Britton. Britton, der sich mangels anderer Befürworter immer wieder selbst ins Gespräch bringt, hat schon wegen seiner britischen Herkunft kaum Chancen. Wer das Reizwort Gatt im Lebenslauf hat, ist bei den Franzosen ohnehin unten durch.