Sie träumt, daß sie fällt

■ Die Blaumeier-Diva Gisela Meyer über das Schauspielen, den Schlaf und die Rolle der Tabletten in ihren Stücken

Seit sieben Jahren spielt sie Theater beim Blaumeier-Atelier, und mit ihren Solostücken hat sie schon die ganze Republik bereist. Es geht darin immer wieder um die Tablettensucht, und Gisela Meyer kann wahrhaftig ein Lied davon singen. Die taz besuchte sie in ihrer Wohnung in der Neustadt.

Welche Rolle müssen Sie unbedingt noch spielen?

Ach, ich träume davon, einmal einen Tag lang mit richtigen Schauspielern zu spielen, mit einer richtigen Maskenbildnerin, die mich 30 Jahre älter oder 30 Jahre jünger machen kann!

Lieber älter oder lieber jünger?

Lieber jünger.

Und welche Rolle?

Die Mutter Courage. Ich bin ja selber so eine, ja, ich kann mich schon durchsetzen. Das mußte ich auch, als sich mein Mann nach 30 Jahren Ehe scheiden ließ.

Sie wollten das nicht?

Damals nicht, obwohl es eigentlich mein Glück gewesen ist. Mein Mann war nämlich Alkoholiker.

Wie lebt man 30 Jahre mit einem Alkoholiker?

Es war eben hart. Ich habe bald gar nicht mehr schlafen können.

Wissen Sie warum?

Ja. Stellen Sie sich nur theoretisch mal vor, Ihre Frau ist alkoholkrank, kommt jeden Abend rappelvoll nach Hause, knallt Ihnen alles vorn Kopf, und es dauert Stunden, bis Sie das Weib ins Bett kriegen, dann liegen sie jede Nacht neben ihr im alkoholverdunsteten Zimmer, und das 30 Jahre lang...Ich glaube, dann können Sie auch nicht mehr schlafen.

Da kamen wahrscheinlich die Tabletten ins Spiel, oder?

Ja. Mein Arzt hat mir jede Menge davon verschrieben, und ich hab sie alle genommen, zehn Jahre lang. Dabei wird man da so träg im Kopf, und bald hatte ich überall Schmer-zen, am Ende sogar Schüttellähmung. Ich konnte keine Suppe mehr essen, und eine Freundin meiner Kinder hat mir immer die Nägel lackiert.

Was hat Ihr Mann dazu gesagt?

Dem war das ganz egal. Hauptsache, der hatte seinen Sprit.

Praktiziert dieser Arzt noch?

Ja. In Bremen-Nord. Ich bin da aber nie wieder hin. Bloß manchmal hab ich das heute noch. Ich laß mir ja immer noch alles auf den Buckel laden und lauf dann immer so auf Hochtouren wie eine Eismaschine im Sommer, wo man vergessen hat, den Ausknopf zu drücken. Da kann's dann passieren, daß ich wieder nicht schlafen kann, aber mittlerweile hab ich das unter Kontrolle. Da muß ich nur rechtzeitig zu meinem neuen Arzt, der zugleich mein Duzfreund ist hier bei der Ini-tiative, wo wir auch Theater spielen, und der gibt mir in solchen Fällen eine Spritze, sonst geht das wieder übern Kopf, und dann hör ich bald Stimmen.

Das heißt, ab und zu brauchen Sie doch noch Medikamente.

Ja, aber nur vorbeugend. Ich find das auch nicht schlimm, wenn ich abends mal eine Pille nehme. Früher mußte ich fünfunddreißig schlucken und mehr.

Könnten Sie ein Stück machen, in dem auch Ihr Mann vorkommt?

Schon.

Warum haben Sie's noch nicht getan?

Da bräuchte ich ja auch den richtigen Partner. Es ist gar nicht leicht, mit mir zu spielen. Also wenn ich mal auf der Bühne stehe, bin ich ziemlich ehrgeizig. Da kommt man nicht so leicht gegen an.

Würden Sie am liebsten nur noch schauspielen?

Jaaa! Ich liebe dieses Prickeln, bevor's losgeht, und ich hör wirklich schon das Publikum knistern. Also davon bin ich richtig abhängig.

Und was sagen die Leute hinterher?

Viel Gutes, muß ich sagen. Ich hab da so ein Solostück, die „Chanella“, damit reise ich manchmal rum, und eine Frau, eine psychisch Kranke, ist mir immer hinterhergereist. Von der hab ich gehört, daß sich ihr Zustand sehr gebessert hat. Sie hat einfach Courage entwickelt.

Worum geht's in „Chanella“?

Um eine alternde Clownin, die nach einem Unfall in der Manege jetzt ihr Gnadenbrot verzehrt und nach drei Jahren immer noch Alpträume hat. Sie träumt, daß sie fällt. Und immer wacht sie auf, schweißgebadet, und schreit nach ihren Tabletten und spuckt sie dann doch wieder aus, und schreit: „Ihr mit den weißen Kitteln, was habt ihr aus mir gemacht!“ Da fällt ihr plötzlich ein, daß sie Geburtstag hat, sie läuft zum Briefkasten, aber da ist nichts drin. So beschließt die Frau in ihrer ganzen Einsamkeit, daß sie dann eben eine Galavorstellung gibt, dann kommen die Menschen schon.

Und wie geht das aus?

Es geht schief. Sie hat ja drei Jahre nicht trainiert. Am Ende muß sie doch wieder zu den Tabletten greifen; sie schleppt sich aufs Bett zurück, und dann ist es aus. Naja, viele Leute haben mich gefragt, warum ich kein Happy End genommen habe, aber das Leben hat ja auch oft keins.

Wie hat das bei Ihnen angefangen mit dem Schauspielen?

Ach, ich hab schon mit sechs Jahren mit meiner Freundin ein kleines Stück gemacht, nur so für die Nachbarn in unserm Mietshaus, denen hat das gut gefallen. Und mit siebzehn dann, in Bethel, ich war nämlich Vollwaise, da waren wir dreizehn Mädchen im Waschhaus. Ich hab uns da ein Stück geschrieben, eine Art Bauerntheater, die Kostüme haben wir uns aus Altkleidern und Resten von Bettwäsche geschneidert, es war ja in der schlechten Zeit, und dann sind wir zwei Jahre lang immer wieder in Bethel damit aufgetreten.

Und dann?

Dann hab ich geheiratet, und alles war verschüttet, weil mein Mann hatte überhaupt kein Verständnis dafür.

Sie haben 30 Jahre lang nicht mehr gespielt?

Ja, ich hab gar nicht mehr drangedacht, ich hab das verdrängt. Und hinterher, als es schiefgegangen war, hab ich mich hingesetzt und mir gesagt: Also entweder du paffst jetzt noch mehr Zigaretten weg, als du's eh schon tust, oder du machst, was du immer schon machen wolltest. Dann hab ich mir einen Kugelschreiber genommen, die Umzugskisten waren noch gar nicht ausgepackt, und hab aufgeschrieben, was ich an Mist schon gemacht habe und was ich andererseits machen möchte, dann hab ich auch noch ein paar Abstriche gemacht, und am Ende blieb das Schauspielen übrig. Naja, und die Blaumeiers, die kannte ich damals schon. Ich also hin, und bald hab ich dort das erste Stück geschrieben, eins über die Bremer Stadtmusikanten. Als es fertig war, hätte ich mir jede Rolle aussuchen können, aber was hab ich genommen? Natürlich die Katze, die nur Miau sagen darf. Aber das ist ja noch ganz anders geworden. Mein Regisseur sagt jetzt immer, wenn ich mal sterbe, muß er mein Mundwerk extra totschlagen.

Im letzten Jahr waren ein paar Blaumeiers auf Mallorca. Wäre das was für Sie?

Nee, diese Gruppenreisen mit psychisch Kranken hab ich schon ein paarmal mitgemacht, aber das ist ja keine Erholung, sondern Streß. Also Psychokrempel hab ich selber schon genug. Außerdem habe ich auch noch eine Knoblauchallergie, und ich bin sehr stark sehbehindert. Das wäre auch nicht leicht. Mein Mann hat früher immer gesagt: Wenn ich dich loswerden will, muß ich dich nur fünf Straßen weiter abstellen.

Woran arbeiten Sie jetzt gerade? Bestimmt an einem neuen Stück.

Richtig, an einem neuen Stück, diesmal für zwei Personen. Da fällt mir ein, das ist wohl auch wieder aus meinem Leben gegriffen, wenn auch unbewußt: Eine Frau wird nach 30 Jahren Ehe von ihrem Mann verlassen, nimmt Gift, aber das falsche. Sie weiß es nicht und denkt, jetzt hätte sie sowieso nur noch 24 Stunden, und da leistet sie sich alles, was sie sich noch nie geleistet hat.

Fragen: Manfred Dworschak