Urteil im „Fall X“ in Irland

■ Der Vergewaltiger bekommt 14 Jahre / Abtreibung bleibt illegal

Dublin (taz) – Der Vergewaltiger im „Fall X“ ist vorgestern von einem Dubliner Gericht zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Der Fall ging vor zwei Jahren um die Welt: Eine 14jährige Irin war nach einer Vergewaltigung schwanger geworden. Dann erhielt sie ein Ausreiseverbot, um eine Abtreibung in England zu verhindern. Erst das höchste irische Gericht entschied einen Monat später, daß bei Lebensgefahr für die Schwangere – das Mädchen war stark selbstmordgefährdet – eine Abtreibung zulässig sei. Kurz vor dem geplanten Eingriff erlitt die 14jährige eine Fehlgeburt.

Die katholische Kirche hatte eine besonders unrühmliche Rolle gespielt: Priester sprachen von einem abgekarterten Spiel, um Abtreibungen in Irland zu legalisieren. Der vor kurzem verstorbene Pfarrer Michael Cleary, der eine recht populäre Radiosendung leitete, tönte: „Wenn es einen Fall gibt, der vorsätzlich geplant war, um den Verfassungsparagraphen zu testen, dann ist es dieser.“

Obwohl der Name des 45jährigen Täters aus Rücksicht auf das Mädchen geheimgehalten wurde, pfeifen ihn die Spatzen von den Dächern. Es handelt sich um einen bekannten Dubliner Sportler, der sich „aus bescheidenen Verhältnissen hochgearbeitet“ habe, wie Richter Buchanan am Donnerstag anmerkte. „Seine Tat hat ihn sein Geschäft und seine Familie gekostet“, sagte der Richter. Der Mann ist verheiratet und hat drei Kinder. Seine Tochter war die beste Freundin des vergewaltigten Mädchens. Buchanan wertete es als strafverschärfend, daß der Täter die Schuld einem Jugendlichen aus der Nachbarschaft in die Schuhe schieben wollte und erst im vergangenen Monat endlich gestanden hatte. Die Familie der 14jährigen mußte wegziehen, weil sich zwei Lager gebildet hatten: Ein Großteil der Nachbarn traute dem Mann die Tat nicht zu und hielt das Mädchen für eine Lügnerin.

Für die Gerichte ist der Fall mit der Urteilsverkündung abgeschlossen, für die Beteiligten sowie für die Politiker jedoch noch lange nicht. Bisher hat sich die Regierung nämlich beharrlich davor gedrückt, die nach der höchstrichterlichen Abtreibungsgenehmigung vom März 1992 notwendigen Gesetze zu verabschieden. Bis dahin war man davon ausgegangen, daß die irische Verfassung Schwangerschaftsunterbrechungen unter allen Umständen verbietet. Durch die Neuinterpretation saß die Regierung in der Klemme, ist die irische Gesellschaft bei diesem Thema doch quer durch alle Altersgruppen, Parteien und Verbände gespalten. Darüber hinaus hätte der „Fall X“ beinahe die Ratifizierung der Maastrichter Verträge verhindert. Die Regierung hatte nämlich auf Betreiben der „Lebensschützer“ den vermeintlich wasserdichten Anti-Abtreibungs-Paragraphen aus der irischen Verfassung durch ein Zusatzprotokoll in die EU-Verträge aufnehmen lassen. Nach dem Urteil fürchteten die „Lebensschützer“, daß Irland die Abtreibungslegalisierung von Brüssel aufgezwungen werden könnte.

Die Regierung versuchte, der Bevölkerung den Schwarzen Peter in Form eines Referendums zuzuschieben, doch die Rechnung ging nicht auf: Zwar stimmte die Bevölkerung der Reisefreiheit und dem Recht auf Informationen über Abtreibung zu, doch das Recht auf Abtreibung bei Lebensgefahr für die Schwangere wurde deutlich abgelehnt. Die „Lebensschützer“ waren aus Prinzip dagegen, die Frauenorganisationen sagten ebenfalls nein, weil in dem Textentwurf eine Gefahr für die Gesundheit der Schwangeren als Abtreibungsgrund ausdrücklich ausgeschlossen wurde. So ist die Regierung seitdem wieder in Zugzwang. Bis sie die entsprechenden Gesetze verabschiedet, gilt das Gerichtsurteil, wonach Abtreibung bei Lebensgefahr – und dazu zählt auch Selbstmordgefahr – ohne zeitliche Begrenzung erlaubt ist. Freilich hat bisher noch niemand diese Gesetzeslücke ausgenutzt: Der erzkonservative „Verband der Mediziner“ hat den irischen ÄrztInnen angedroht, sie unverzüglich aus dem Register zu streichen, falls sie eine Schwangerschaftsunterbrechung vornehmen würden. Das käme einem Berufsverbot gleich. Ralf Sotscheck