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Von Glasnost keine Spur

■ Auch Chinas starkes Wirtschaftswachstum hat die Repression gegen Journalisten und Kritiker nicht gebremst

Peking (taz) – Die Telefonverbindungen politischer Aktivisten in Schanghai sind gekappt. Geheimpolizisten mit Bürstenschnitt bevölkern den Tiananmen-Platz in Peking. Sie lungern vor den Wohnungen von Eltern herum, deren Kinder vor fünf Jahren von Soldaten erschossen wurden, als sie an den demokratischen Protesten teilnahmen. Die Repression ist ungeschminkt und straft die Worte all jener im Westen Lügen, die meinten, daß das Wirtschaftswachstum die Tore zu Pluralismus und Meinungsfreiheit in China öffnen würde. „Die für eine Achtung der Menschenrechte grundlegenden Bedingungen – freie Presse, eine unabhängige Gerichtsbarkeit, checks and balances – haben sich in China nicht verbessert“, sagt ein asiatischer Diplomat in Peking. Nachdem die politischen Reformer 1989 von der Bildfläche verbannt und ihre think tanks geschlossen worden waren, ging die chinesische Führung im vergangenen Jahr erneut mit aller Härte gegen jegliche Opposition vor.

Damals, in den Monaten vor dem Juni 1989, waren die Intellektuellen optimistisch: Viele konnten ihre Ideen regelmäßig in den offeneren Zeitungen des Landes publizieren – dort, wo ihnen reformfreudige Redaktionen eine Plattform für die Debatten boten.

Heute aber stehen alle chinesischen Printmedien unter Beschuß von oben. Im April vergangenen Jahres verurteilte ein Pekinger Gericht den Zeitungsmann Wu Shisen zu lebenslanger Haft, weil er eine geplante Rede von Präsident Jiang Zemin durchsickern ließ – nur wenige Tage bevor sie gehalten wurde. Wu habe „Staatsgeheimnisse ins Ausland durchsickern lassen“.

Ein Pekinger Gericht hat eine ähnliche Beschuldigung – das Stehlen von Finanzgeheimnissen des Staates – im März dieses Jahres wieder hervorgebracht, als es den Hongkonger Reporter Xi Yang zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilte. Dieser hatte Regierungspläne über die Veränderung der Zinssätze und den Verkauf von Gold veröffentlicht. Der Bankangestellte, der die Information weitergegeben hatte, erhielt eine Haftstrafe von fünfzehn Jahren. Einen Monat nach der Verurteilung forderte der Propagandachef der Partei, Xu Weicheng, die Teilnehmer einer nationalen Medienkonferenz dazu auf, die „professionellen und moralischen Standards der chinesischen Journalisten zu überprüfen“ – eine Formulierung, die die Anwesenden frösteln ließ.

Wenn Journalisten wegen unliebsamer Veröffentlichungen angeklagt werden, dann wird ihr Fall von einem sogenannten „Politik- und Rechtskomitee“ der Partei begleitet. Gewöhnlich folgen die Urteile dem Anklagetext der Staatsanwaltschaft Wort für Wort. Aber immer häufiger erhalten Oppositionelle nicht einmal einen Prozeß: Die Polizei selbst kann Dissidenten zu vier Jahren harter Arbeit – „Reform durch Arbeit“ genannt – verurteilen, ohne daß auch nur formal Anklage erhoben wird. Jedes Jahr werden Hunderttausende „zur Überprüfung“ festgenommen, viele von ihnen verschwinden dann für Jahre.

Die chinesische Führung betont, sie verstehe Menschenrechte vor allem so, daß die 1,2-Milliarden-Bevölkerung des Landes Essen und Arbeit hat. Und dabei kann sie zumindest auf einige Erfolge verweisen: Seit 1979 sind, offiziellen Statistiken zufolge, in China 170 Millionen Menschen aus der absoluten Armut – bei einem Geldeinkommen von 60 Mark im Jahr angesetzt – befreit worden. Und die Lebenserwartung ist von 64 auf 70 Jahre gestiegen.

Obwohl Chinas erstaunliches Wirtschaftswachstum – 13,4 Prozent im vergangenen Jahr – dazu geführt hat, daß die Menschen einen besseren Zugang zu Informationen haben und sich freier innerhalb Chinas bewegen können, ist die Regierung über die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, Stadt und Land und zwischen den verschiedenen Regionen besorgt. „In dem Maße, wie die Wirtschaftsreformen voranschreiten, verursachen sie soziale Spannungen, und dieses bringt die Regierung wiederum dazu, noch repressiver vorzugehen“, sagt Robin Munro, der Hongkonger Vertreter von Human Rights Watch/Asia. Matt Forney

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