■ Die FDP präsentiert sich als beinharte Wirtschaftspartei
: Existenzkampf '94

Was tut eine Partei, die sich im freien Fall auf den tödlichen 5-Prozent-Felsvorsprung zubewegt? Sie sucht ihr Profil. Als Wirtschaftspartei ohne Einschränkungen wollen die Liberalen, denen nach gesalzenen Wahlschlappen in Hamburg und Niedersachsen weitere Ausscheidungsrunden aus dem parlamentarischen Dauerfight drohen, im Wahljahr harte Konturen zeigen. Wer gut verdient und sich der Leistungselite zugehörig fühlt, der soll FDP wählen. Doch der 50er-Jahre-Appeal „Leistung muß sich wieder lohnen“ stößt selbst eingefleischten Liberalen sauer auf. Angesichts von Massenarbeitlosigkeit, gesellschaftlicher Krise und Erosion der politischen Mitte hat die Pünkchen-Partei mit ihrem schonunglosen Bekenntnis zur Ellenbogengesellschaft endgültig den Traditionen des sozialen Liberalismus Adieu! gesagt.

Wo Programme versagen, sorgen gelegentlich die Leitfiguren für Klarheit. Offenbar haben die Sterbeglöckchen bei dem Kohl-treuen Parteichef Klaus Kinkel den Zynismus beflügelt, wenn auch den unfreiwilligen. Der Gag, das polemische Schlagwort „Besserverdienende“ positiv zu besetzen, ist gründlich danebengegangen und wird, trotz der geflissentlichen Retusche von Rostock, der Öffentlichkeit im Gedächtnis haften bleiben. Da hilft auch nicht viel, wenn Kinkel den „Leistungsträgern“, jener neuen Zielgruppe der Partei, neuerdings sogar die „aufopferungsvolle Krankenschwester“ zuordnet. Letzte dürfte es wohl kaum freuen, daß die Krankenkassenbeiträge nach Vorstellungen der FDP künftig nicht mehr nach dem Einkommen, sondern nach dem Umfang des Versicherungsschutzes berechnet werden sollen. Und auch über die törichte Behauptung, Anspruchsdenken und Unbeweglichkeit seien die wahren Hemmschwellen für die Vollendung der deutschen Einheit, können Arbeitnehmern nur müde lächeln – sie wissen zu gut, wer die Einheit bisher im Alleingang finanziert hat. Wer auch nur ein Fünkchen Gespür für soziale Spannungen in diesem Land hat, dem muß es vor einer solchen Lambsdorfferisierung der deutschen Wirtschafts- und Sozialpolitik nur so grauen.

Gefangen in der neoklassischen Wirtschaftstheorie, deren letztes Stündchen bereits im britischen Thatcherismus und den gleichermaßen desaströsen Reaganomics geschlagen hat, werden reihenweise marktwirtschaftliche Ladenhüter aus der Wundertüte herausgefingert. Ob Einschnitte in das geltende Tarifrecht oder die Privatisierung aller staatlichen Unternehmen – dahinter steckt der unerschütterliche Glaube, man brauche nur die Rahmenbedingungen zu verändern, schon stelle sich das Heil von ganz alleine ein. Der mitregierenden FDP würde so gar erspart, sich der wirtschaftspolitischen Verantwortung stellen zu müssen. Wie dürftig deren wirtschaftspolitische Kompetenz jedoch in der Praxis ist, stellte jüngst Günter Rexroth (Motto: „Die Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt“) bei seinem Debakel in Eisenhüttenstadt wieder einmal tatkräftig unter Beweis.

Übrigens, wie steht es eigentlich um die anderen politischen Inhalte der Pünktchen-Partei? Was darf das Wahlvolk noch erwarten? Nun, wir erfahren, daß die Kirchensteuer abgeschafft, der Lauschangriff verhindert, im nationalen Alleingang eine Energiesteuer eingeführt und Amt von Mandat getrennt werden soll. Lauter nette Ideen – doch als Luftnummern helfen sie nicht viel. Erwin Single