400 Vertragsarbeiter können jetzt bleiben

■ Senat plant „Stichtagsregelung“: Bagatelldelikte sollen nicht mehr zur Ausweisung führen / Stichtag ist der 18. Juni 1992

Eine etwas sanftere Gangart scheint der Senat in seiner Ausländerpolitik einschlagen zu wollen. Nach Informationen der taz wird Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) in den nächsten Tagen eine sogenannte „Stichtagsregelung“ für ehemalige DDR-Vertragsarbeiter erlassen, die Bagatelldelikte, die bis zum 18. Juni 1992 von Vietnamesen, Mosambikanern und Angolanern begangen wurden, nicht mehr als Ausweisungsgründe ansieht. Unter Bagatelldelikten sind Straftaten zu verstehen, die mit bis zu 90 Tagessätzen bestraft werden. Mindestens 400 seiner Landsleute, so schätzt der Vietnamese Giang von der Bürgerinitiative Hohenschönhausen, können so doch noch in Deutschland bleiben.

Die großzügige Geste des Innensenators kommt nicht von ungefähr. Nach vielen Vorschlägen, die im Parlament zur Bleiberechtsregelung diskutiert wurden, hatte die SPD eine entsprechende Beschlußvorlage in den Koalitionsausschuß eingebracht. Dort wurde sie gegen die Stimme Heckelmanns angenommen.

In der bisherigen Praxis reichten für die knapp 15.000 in Deutschland verbliebenen ehemaligen VertragsarbeiterInnen schon Vergehen wie Fahren ohne Führerschein oder einmaliger Zigarettenhandel aus, um die Bundesrepublik verlassen zu müssen. Unberücksichtigt blieb dabei vor allem, daß den von der DDR-Regierung ins Land geholten Arbeitskräften nach der Wende kaum etwas anderes übrigblieb, als sich über illegale Kanäle ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Denn sie gehörten zu den ersten, die nach dem „Gesundschrumpfen“ ostdeutscher Unternehmen auf die Straße flogen. Die Unsicherheit während der jahrelangen Debatten über eine Bleiberechtsregelung ließ nur wenige einen neuen Arbeisplatz finden.

Ende vergangenen Jahres einigten sich die Innenminister der Länder darauf, daß Vertragsarbeiter, die bis zum 17. April 1994 eine Wohnung und einen Job nachweisen können, eine auf zwei Jahre befristete Aufenthaltsbefugnis erhalten – ausgenommen nur diejenigen, die straffällig geworden waren. Vor allem Vietnamesen, die beim Zigarettenhandel erwischt wurden, erhielten so ihre Ausweisung. Ein Berliner Verwaltungsurteil von 1993 hob das besondere gesellschaftliche Interesse hervor, gegen diese „die bundesdeutsche Ordnung besonders gefährdende Kriminalität“ vorzugehen.

Auch ein „Straftatbestand von einmaligem Zigarettenhandel mit drei Stangen und weniger“ reichte aus, um ausgewiesen zu werden. „Eine inhumane Regelung, die keinesfalls die besonderen Lebensumstände der Betroffenen berücksichtigt“, so der ausländerpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Ekkehardt Barthel, gestern zur taz. „Auch stehen diese Bagatelldelikte in keinem Verhältnis zur Konsequenz einer Ausweisung.“ Immerhin sieht das Ausländergesetz ein mögliches Strafmaß von bis zu 140 Tagessätzen vor, die nicht zur Ausweisung führen darf. Anja Nitzsche