Türken wollen Todesschiffe stoppen

■ Tanker sollen nicht mehr unkontrolliert quer duch Istanbul fahren dürfen

Istanbul (taz) – „Stoppt die Todesschiffe“, heißt es auf einem Transparent, das eine Gruppe von Schülern trägt. Mit spektakulären Aktionen wollten Umweltgruppen in Istanbul am Sonntag auf die Gefährdung der Stadt durch den internationalen Schiffsverkehr aufmerksam machen. Man wollte mit Fischerbooten stundenlang den Schiffsverkehr durch den Bosporus stoppen, und entlang der Meerenge sollten Menschenketten den Widerstandswillen der Einwohner gegen die Öltanker und die chemischen Transporte bekunden. – Es kam ganz anders. Auf der Bosporusbrücke hatten sich nur ein paar hundert Menschen zusammengefunden. Während der Gouverneur von Istanbul und der türkische Umweltminister Reden über die Gefährdung der Stadt durch den Schiffsverkehr schwangen, suchten Jugendliche vergeblich nach der Menschenkette.

Dabei sitzt den Istanbulern seit dem letzten Schiffsunglück durchaus die Angst im Nacken. Vor drei Monaten war der Öltanker Nassia mit dem Transportschiff Sea Broker im Bosporus zusammengestoßen. Tagelang brannte das Feuer auf dem Tanker, der mit 98.500 Tonnen Rohöl beladen war. Das Schiffsunglück ereignete sich im nördlichen Teil der Istanbuler Meerenge, die kaum besiedelt ist. Eine Katastrophe hätte die Stadt erwartet, wenn der Zusammenstoß nur wenige Meilen weiter südlich stattgefunden hätte.

Seit 1936, als der „Vertrag von Montreux“ geschlossen wurde, entzieht sich der Transitverkehr auf dem Bosporus jeglicher Kontrolle. Ohne Genehmigungsverfahren schippern Tanker mit gefährlichen chemischen Stoffen, mit Rohöl oder mit Atommüll unbehelligt quer durch eine Stadt mit zehn Millionen Einwohnern. Der Vertrag von Montreux ist insbesondere für Rußland von extremer Bedeutung, weil die türkischen Meerengen der einzige Zugang Rußlands zum Mittelmeer sind. Vehement hat sich Rußland gegen jede Modifikation des Vertrages von Montreux zur Wehr gesetzt. Doch nach dem jüngsten Tankerunglück wollen die Türken nicht mehr tatenlos zusehen. Ab dem 1. Juli tritt eine neue Verkehrsordnung in Kraft, die auch von den Vereinten Nationen unterstützt wird. Danach wird bei schlechter Sicht und starker Strömung die Durchfahrt begrenzt. Atomar betriebene oder beladene Schiffe brauchen eine Genehmigung des Umweltministeriums.

Die Verkehrsordnung, obwohl nur ein erster bescheidener Schritt, war Anlaß für heftigen Protest Rußlands. Denn zwischen Rußland und der Türkei tobt ein Kampf um die Vermarktung des zentralasiatischen und des kaukasischen Erdöls. Während Rußland eine Pipelineführung will, die an einem russischen Hafen endet, will die Türkei einen türkischen Mittelmeerhafen als Endpunkt der zu bauenden Pipeline sehen. Wenn der Verkehr auf dem Bosporus beschränkt würde, wäre der russischen Lösung der Boden entzogen. Das amtliche Umweltbewußtsein vom Sonntag war nicht zuletzt handfesten Wirtschaftsinteressen geschuldet. Ömer Erzeren