Dresden feiert ein „Gottesgeschenk“

Siemens legt den Grundstein für die modernste Mikrochip-Fabrik der Welt / Kanzler Kohl zeigt Flagge / Umweltverbände protestieren / Siemens-Chef verspricht viele neue Bäume  ■ Aus Dresden Detlef Krell

Dresden soll wieder ein Hochtechnologiezentrum werden. Die Siemens AG hat gestern in der sächsischen Landeshauptstadt den Grundstein für eine neue Chipfabrik gelegt. Bis 1996 möchte der Technologiekonzern dort „das weltweit modernste Mikroelektronikzentrum“ errichten. Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) feierte gestern „einen guten Tag für Deutschland“: Siemens würde in Dresden „die Fama widerlegen, daß wir auf einer entscheidenden Seite der Entwicklung in der Welt die Flagge eingeholt haben.“

In den nächsten zehn Jahren sollen 2,7 Milliarden Mark investiert werden, von denen eine Milliarde aus öffentlichen Mitteln stammt. Bis zu 1.200 Mitarbeiter sollen nach Angaben von Siemens in dem Zentrum beschäftigt werden. Siemens rechnet damit, weitere 2.000 bis 3.000 Arbeitsplätze bei Zulieferern halten zu können.

Siemens-Vorstand Heinrich von Pierer kündigte an, daß nach einer Einfahrphase mit 16-Megabit-Speichern das „Kompetenzzentrum für die 64-Megabit-Technologie und Fertigung“ entstehe. Produziert werden sollen Speicher und hochkomplexe, integrierte Schaltungen für Multimedia-Anwendungen. Wöchentlich sollen 5.000 Chips das Werk verlassen. Ende dieses Jahrzehntes könnten dann in einer Pilotlinie die ersten 256-Megabit-Speicher produziert werden, die derzeit ein Konsortium von Siemens, IBM und Toshiba gemeinsam entwickelt.

Siemens begründete die Entscheidung für Dresden mit dem Angebot an „hochqualifiziertem Personal“ in der Stadt, die zu DDR-Zeiten eines von drei Mikroelektronikzentren war. Dresden sei Teil eines strategischen Konzepts, das „eine verbesserte Ertragslage bei gleichzeitiger Sicherung der technologischen Wettbewerbsfähigkeit“ vorsehe. Nur sechs Monate vergingen von der Bekanntgabe des Projekts bis zur Grundsteinlegung. Umstritten ist die Ansiedelung in der Dresdner Öffentlichkeit. Das High- Tech-Zentrum wird am Rande des Landschaftsschutzgebietes Dresdner Heide errichtet, ein Gelände, das vier Jahrzehnte lang von einer riesigen Kaserne der Roten Armee besetzt war. Der Konzern bekam das elf Hektar große Baugelände zu dem für Dresdner Verhältnisse sensationell niedrigen Preis von 13 Millionen Mark.

Für das Bauvorhaben werden 4.200 Bäume gefällt. Eine Klage des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) war in erster Instanz abgelehnt worden, weil Naturschutzverbände im Sächsischem Naturschutzgesetz keine Klagebefugnis haben. In der Landesverfassung wird jedoch das Klagerecht eingeräumt; ein Widerspruch, mit dem sich das Landes- Verfassungsgericht nach einer Klage von Bündnisgrünen und SPD befassen muß.

Für Stadtentwicklungsdezernent und OB-Kandidat Ingolf Roßberg (FDP) ist die „derzeit größte Investition, die es in Deutschland gibt“, ein „Gottesgeschenk“. Wirtschaftsdezernent Rolf Wolgast (SPD) erkannte „Zeichen des Aufschwungs“. Vor dem Landtag hatten SPD und Bündnis 90/ Grüne kritisiert, daß „Deutschlands reichstem Konzern“ so großzügig finanziell unter die Arme gegriffen werde.

Demonstranten kamen mit Transparenten wie „Siemens legt die Heide um, wir stehen staunend drumherum“; doch die vor handverlesenem Publikum zelebrierte Grundsteinlegung blieb ihnen verwehrt. „Selbstverständlich müssen auch einige Bäume gefällt werden“, räumte Oberbürgermeister Herbert Wagner (CDU) in seiner Lobrede ein. Siemens habe „ausreichende Neupflanzungen zugesagt“.