No names statt Zugnummern für Europa

Das Europaparlament ist längst kein Endlager für deutsche Polit-Promis mehr, doch wer wird statt dessen von den Parteien nach Straßburg geschickt? / Der prominenteste Kandidat heißt Schönhuber  ■ Von Hans Monath

Bonn (taz) – Frankreich, du hast es besser. Für die Grande Nation haben Persönlichkeiten wie Simone Veil oder Giscard d'Estaing im Straßburger Parlament Europapolitik gemacht. In diesem Jahr bewirbt sich jenseits des Rheins kein geringerer als Michel Rocard um einen Sitz im Palais d'Europe.

Die Wahrheit über die Prominenz und den Einfluß deutscher Europapapolitiker im eigenen Lande ist vergleichsweise traurig. Der einzige Politiker mit hohem Bekanntsheitsgrad auf der deutschen Liste für die Wahl am 12. Juni ist ausgerechnet ein „Republikaner“. Er heißt Franz Schönhuber.

Um die 99 deutschen Sitze bewerben sich 1.171 Kandidaten und Ersatzkandidaten, die 26 verschiedenen Parteien angehören – von den sechs Bundestagsparteien bis hin zu zur „Partei Bibeltreuer Christen“ und den „Unregierbaren – Autonome Liste“. Allein mit den Namen der Spitzenkandidaten der aussichtsreichen Parteien können die Wählerinnen und Wähler meist nicht mehr anfangen als mit den phantasievollen Bezeichnungen solcher Splittergruppen.

Wer würde sich schon durch die Zugkraft der Namen Klaus Hänsch, Magdalene Hoff, Gerhard Schmid, Erika Mann und Wilfried Kuckelkorn an die Urne locken lassen? Ob diese „No-name-Politiker“ nun die CDU- oder die SPD- Liste anführen, weiß kaum jemand. Nicht einmal professionelle Politikbeobachter könnten die genannten Kandidaten ohne Recherchen als SozialdemokratInnen identifizieren.

Die Zukunft Deutschlands liegt in Europa. So versprechen es die bunten Prospekte und die Wahlkämpfer in diesen Tagen. Aber die durchsetzungsfähigsten und zugkräftigsten Politikerinnen und Politiker der Bundesrepublik reizt die Straßburger Aufgabe offensichtlich nicht. Klagen der Parteien wegen der mangelnden Begeisterung der Wählerinnen und Wähler für Europa klingen angesichts solcher Praxis scheinheilig. In den ersten Legislaturperioden des Europaparlaments war es üblich, aus der Bundesrepublik landesweit bekannte Politiker mit „Burn-out- Syndrom“ und gutem Namen oder auch prominente Versorgungsfälle in die Europapolitik zu abzuschieben („Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa“). Weil neue Befugnisse hinzugekommen sind und die Bedeutung des Parlaments gewachsen ist, mißbrauchen die Parteien die Einrichtung heute kaum mehr als Endlager für Polit-Promis.

„Es wird mehr darauf geachtet, wer dort hingeht“, sagt die bündisgrüne Abgeordnete Claudia Roth, die dem Straßburger Politbetrieb mittlerweile „ein hohes Maß an beeindruckenden Persönlichkeiten“ bescheinigt. Die alte Praxis existiert nur noch als Ausnahme. Alfred Gomolka, Ex-Ministerpräsident, führt die CDU-Landesliste Mecklenburg-Vorpommerns an. Aus Rücksicht auf die nur in Bayern kandidierende CSU hat die Union keine Bundesliste aufgestellt.

Verdienter Mitarbeiter und Sympathisanten besinnt sich auch die PDS. Sie schickt einen Kandidaten mit staatsmännischer Erfahrung ins Rennen, den ehemaligen DDR-Regierungschef Hans Modrow. Auch Heiner Fink, Symbolfigur des Kampfes gegen die Abwicklung der Ostakademikern und Ex-Rektor der Humboldt-Uni, hat einen guten Platz.

Bei den traditionell promikritischen Bündnisgrünen führt die ausgewiesene Europapolitikerin Claudia Roth die frauenquotierte Liste an. An zweiter Stelle steht der Ex-Bürgerrechtler Wolfgang Ullmann, bislang rechtspolitischer Sprecher seiner Bundestagsgruppe. Einen der bekanntesten Grünen aber, Daniel Cohn-Bendit, verbannten die Delegierten im November 1993 auf den achten Platz. Die Rückstufung galt als „Quittung“ für das Engagement des gebürtigen Franzosen für militärische Hilfe zugunsten der bosnischen Muslime. Um seinen Einzug ins EP muß der Frankfurter Dezernent voraussichtlich nicht bangen: Auch ein Ergebnis um die neun Prozent dürfte ihm schon genügen.

FDP-Spitzenkandidatin Uta Würfel setzt alles auf die Karte Europa: Die im Streit um den Paragraphen 218 in Fachkreisen bekannt gewordene Bundestagsabgeordnete steht ohne Mandat da, wenn ihre Partei am 12. Juni scheitert.

Das aber ist nicht unwahrscheinlich. Eine zugkräftige Kandidatur aus den eigenen Reihen hätte da Auftrieb geben können, wie manche Liberale wehmütig überlegen: „Es wäre doch schön gewesen, wenn Genscher das gemacht hätte.“