Sind so kleine Hände...

■ Aus bemühter Kindersicht befremdlich erzählt: Die Geschichte eines Kreuzberger Hauses im Krieg

Das Buchgeschäft mit der Berliner Stadtgeschichte jedweder Art blüht: Nachdem die Stadtbezirke abgegrast sind, konzentriert man sich mittlerweile mehr auf Details. Der Kiezgeschichte folgt nun die der Straßen, Häuser. „Unser Bunker steht noch“ berichtet aus der Sicht der 1939 vierjährigen Anja über das Leben in einem Kreuzberger Haus während der Kriegsjahre bis zur Kapitulation.

„Mit der staunenden Naivität des Kindes hat Hannelore Rosenthal aufgeschrieben, wie sie diesen ,Alltag‘ des Krieges in Kreuzberg erlebte. Ungeschminkt, direkt, schnörkellos. Herausgekommen ist dabei eine jener unverfälschten subjektiven Schilderungen ,von unten‘“, so der Klappentext – und ins Staunen gerät man bei der Lektüre dann tatsächlich. Die Autorin Rosenthal, Jahrgang 1935, bleibt bei ihrem Erstling ganz unten in ihrer Subjektivität leider gefangen. Die kindliche Perspektive auf die Umwelt gerät bei ihr zu einem nostalgischen Revival. Lackschühchen, Schnürstiefelchen und Samtkleidchen werden mit Verve beschrieben, der ganze Text strotzt von Beschreibungen kleiner heißer Kinderhände, die sich in die große Pranke eines Erwachsenen kuscheln. Mal sind die Kinderhände auch pappig, wie die ganze süße Glasur, die hier über die Vergangenheit gekippt wird.

Mit berlinischem Dialekt versehen soll das Milljöh charakterisiert werden. Die Geschichte eines Hauses wird auf Krieg und Frieden zwischen den Mietparteien reduziert. Die belanglosen Alltagsgeschichten erzählen nichts über die Stadt, das Viertel, geschweige denn das Umfeld. Nun wäre das alles noch nicht einmal der Rede bzw. einen Verriß wert, richteten sich die Kinderaugen nicht auch noch auf die Nazizeit. Anjas Vater bekommt für den Bau von Luftschutzbunkern Fremdarbeiter zugeteilt. Gott sei Dank „kommt er fabelhaft mit ihnen aus“. Manchmal lädt er sie zum Essen nach Hause ein, über die deutschen Speisen freuen sich die Fremdarbeiter. „Sie revanchieren sich auf ihre Weise, indem sie Salami, Parmaschinken, Pecorino- und Mozzarellakäse sowie Chiantiwein“ mitbringen. Das Lebensmittel- Sortiment erinnert zwar mehr an eine Anti-Pasti-Platte als an ein Essensmarken-Menü, aber immerhin läuft einem das Wasser, seien wir ehrlich, bei soviel italienischer Eßkultur doch im Munde zusammen.

Ein anderer menschenfreundlicher Hausbewohner, Herr Kutscher, versteckt eine Polin ohne Papiere bei sich. Er braucht ein Dienstmädchen, „und Tante Bertha hat es nicht fertiggebracht, Herrn Rosenbach, den Blockwart, zu informieren“: ein Herz für Polen. Auch das Zigeunerthema wird leider derart gestreift, ebenso das Schicksal der jüdischen Kinder.

Die edition arani, die dieses Buch verlegt hat, neigte bisher eigentlich nicht zu Courts-Mahler- Themen. Im Verlagsprogramm finden sich vorwiegend Titel, die die Berliner Geschichte dokumentieren, illustrieren oder auch launig den Touristen nahebringen. Eine Nachfrage beim Lektor dieses Buches, Bernhard Thieme, sollte klären, wie so eine Publikation zustande kommen konnte. Erstaunen auf Lektorenseite: Thieme sieht dieses Buch als eine „wertfreie Schilderung, die auf typische Art und Weise eine kleinbürgerliche Welt zeige“. In dem Text manifestiere sich proletarisches Bewußtsein, die einfache Alltagswelt des Kleinbürgertums sei hier ganz subjektiv geschildert.

Wohl ebenso dem Proletariat aufs Maul geschaut ist die Geschichte eines jungen Mädchens: „Frau Bienert ist sich ziemlich sicher, daß Frieda ihren Stiefvater verführt hat – obwohl...“ So sei das damals wohl gewesen, sagt Thiemes hierzu, das Buch spiele nun mal in den dreißiger Jahren und nicht heute. Sei denn in diesem Fall ein historischer Wandel zu konstatieren, hätten denn damals die Töchter gemeinhin die Väter verführt? Man solle sich nicht bei einzelnen Sätzen aufhalten, sagt der Lektor, eine solche Frage könne sich wohl nur derjenigen aufdrängen, die persönlich betroffen sei. Betroffen? In der Tat – von soviel unternehmerischem Mut zur pausbäckigen Geschichtsklitterung. Caroline Roeder

Hannelore Rosenthal: „Unser Bunker steht noch. Ein Kreuzberger Haus im Krieg“, edition arani, 180 Seiten, 24,80 DM