■ Die Post-Gewerkschaft DPG will einen Sozialtarifvertrag für die Beschäftigten abschließen
: Basar der Besitzstände

Beim Streit um den Sozialabbau in diesem Land gibt es ein neues Phänomen – es wird schwierig, öffentliche Solidarität gegen den Abbau von Besitzständen zu mobilisieren. Jüngstes Beispiel: die Auseinandersetzungen bei der Post um einen Sozialtarifvertrag für die 670.000 Beschäftigten. Da geht es unter anderem um die tarifliche Fixierung des Erholungswerkes, der billigen Dienstwohnungen, bis hin zum Anspruch auf ein Kaltgetränk bei mehr als 26 Grad Hitze. Befinden sich die Postler damit im gesellschaftspolitischen „Abseits“, wie marktwirtschaftshörige Kommentatoren titeln?

Ein weiteres Beispiel: die Chemiefacharbeiter bei BASF, die gegen den Abbau von Jubiläumsgaben und Treueprämien protestieren. Auch hier fühlt sich kaum ein Reporter bemüßigt, zum Ort des Geschehens zu eilen und anschließend über den Sozial-Absturz in der Chemieindustrie zu lamentieren. Im Gegenteil, die Öffentlichkeit horcht eher auf, wenn die Sonderleistungen aufgezählt werden: „Schau mal an, was die alles haben!“

Hier kommt es heraus: Längst vertreten die Gewerkschaften nicht mehr vor allem die Rechte der ganz Schwachen, sondern eher die Besitzstände der Mittelklasse. Kein Zufall, daß der gewerkschaftliche Organisationsgrad der Beamten am höchsten ist. Danach kommen die Facharbeiter und Meister, am schwächsten sind die Ungelernten vertreten. Also was fordern? Schlichtweg um den Erhalt der Sonderleistungen zu greinen, bringt versteckte Häme ein und gilt als Zeichen von Infantilismus – wo wir doch angeblich alle einsehen müssen, daß die Zeiten härter geworden sind. Im Brustton neugewonnener Einsicht über die Standortsicherung in Deutschland zu dozieren, die uns eben nun mal Opfer abverlangt, sichert wiederum nur einen Platz am gemeinsamen Stammtisch mit den Arbeitgebern.

Was also bleibt? Aus der Not wenigstens eine Tugend zu machen. Um die sozialen Besitzstände muß verhandelt werden. Nicht piefig wie zwischen Nachbarn, die um den Pollenflug in den Kleingärten streiten, sondern wendig wie auf einem orientalischen Basar – und mit genauem Blick auf das Solidaritätspotential, das in den einzelnen Posten steckt. Vielleicht können die Postler auf ihre kostenlosen Erfrischungsgetränke verzichten, aber möglicherweise ist gerade das Posterholungswerk, nützlich für Bedürftige, eine unbedingt erhaltenswerte Einrichtung. Vielleicht können die BASF-Betriebsräte die Ausdünnung von Jubliläumsgaben und Treueprämien verschmerzen, aber eben nur, wenn die unteren Einkommensgruppen dafür einen Ausgleich bekommen. Solche Handelei hat ihre häßlichen Seiten, vor allem, wenn sie offen abläuft. Aber nur so können damit auch in den Betrieben Diskussionen über Gerechtigkeit und Solidarität neu entfacht werden. Und das wäre doch schon mal was. Barbara Dribbusch