Portugal gegen den Rest der EU

■ Nationalistische Scharfmacher bekommen im Europa-Wahlkampf Oberwasser / Wenig Interesse an Wahlen

Lissabon (taz) – Christdemokraten und Kommunisten in Portugal, sonst untereinander spinnefeind, haben im Europa-Wahlkampf ein gemeinsames Angriffsziel ausgemacht: die Europäische Union. Die Kommunisten (PCP) agitieren gegen einen „deutschen Imperialismus“ in der EU und den „Ausverkauf der portugiesischen Industrie an ausländisches Kapital“. Die Christdemokraten (CDS/PP) beschwören die Gefahr eines völligen Verlustes der nationalen Souveränität Portugals. „Portugal hat sich immer allein gegen alle geschlagen und hat immer gewonnen“, tönt der 33jährige CDS/PP-Vorsitzende Manuel Monteiro und erinnert damit ungewollt an den Slogan „Stolz und allein“ der einstigen faschistischen Diktatur in Portugal.

Mit solch scharfen Worten gegen den europäischen Föderalismus hat Monteiro die Sozialisten (PS), zweitstärkste Partei in Portugal, und die mit absoluter Mehrheit regierende Sozialdemokratische Partei (PSD) im Wahlkampf völlig in die Defensive gedrängt. Die liberale Lissaboner Zeitung Público erklärte Monteiro bereits zum „psychologischen Sieger“ des Europa-Wahlkampfes, während die beiden größten Parteien PS und PSD seinem nationalen Kreuzzug apathisch gegenüberstehen.

In Portugal hat sich das Meinungsklima gewandelt: Aus der Europa-Euphorie in den ersten Jahren nach dem Beitritt des Landes zur EG 1986 ist Skepsis geworden. In der öffentlichen Debatte haben es nationalistische Scharfmacher geschafft, den europäischen Förderalismus als Verrat an nationalen Interessen zu denunzieren. Der liberale Publizist Augusto Santos Silva führt dies vor allem auf zwei Erklärungen zurück: die derzeitige politische Elite des Landes halte keinen Vergleich mit den Politikern aus, die Portugal in die EG geführt hätten. Die derzeitige Führung bestehe bloß aus Technokraten ohne Charisma und ohne ideologische und politische Ideen. Ferner fürchte die politische Führungselite noch immer den Schatten der vor 20 Jahren gestürzten Diktatur, die den Portugiesen stets Nationalismus und eine Abkehr von Europa eingetrichtert hatte. Diesen Schatten zu verscheuchen, fällt offensichtlich schwer.

Dabei hilft auch der Geldsegen aus den Brüsseler Kassen wenig, der Portugals Wirtschaft von 1986 bis 1990 mit Wachstumsraten zwischen 4,0 und 5,5 Prozent zur dynamischsten der EU gemacht hatte. Nach einer Phase langsameren Wachstums erwartet die Regierung in Lissabon für 1995 wieder ein überdurchschnittliches Wachstum von drei Prozent gegenüber einem EU-Durchschnitt von 2,5 Prozent. Bis zum Jahr 2000 rechnet die portugiesische Regierung mit insgesamt 40 Milliarden Mark Finanzhilfen von der EU.

Doch Portugal ist noch immer ein Billiglohnland. Der staatlich festgelegte Mindestlohn liegt bei monatlich 490 Mark. Eine Referendarin am Gymnasium verdient 800 Mark im Monat. Das Rentenniveau ist mit Abstand das niedrigste in der EU. Durchschnittlich 3.220 Mark Rente pro Jahr erhält ein über 60jähriger Portugiese. Ein gleichaltriger Luxemburger erhält im Durchschnitt 21.420 Mark.

Überhaupt keinen Segen hat die EU der portugiesischen Landwirtschaft gebracht. Am deutlichsten wird dies in der Agrarprovinz Alentejo. Die Agrarproduktion dort ist der genormten EU-Landwirtschaft nicht gewachsen. Das Pro-Kopf-Einkommen der Alentejaner beträgt nur 35 Prozent des EU-Durchschnitts. Von 1981 bis 1991 verlor der Alentejo zwölf Prozent seiner Bevölkerung, und die Landflucht geht weiter. Gegen die europäische Landwirtschaftspolitik streitet denn auch der portugiesische Bauernverband. Sein Präsident Rosado Fernandes ist die Nummer Zwei auf der Kandidatenliste der CDS/PP.

Wegen ihrer scharfen Angriffe gegen die europäische Einigung sind die portugiesischen Christdemokraten bereits im vergangenen Jahr aus der europäischen Volkspartei (EVP), dem Zusammenschluß der europäischen christdemokratischen Parteien, ausgeschlossen worden. Ob die Abkehr der CDS/PP von Europa bei den Wählern Unterstützung findet, ist fraglich. Unter Francisco Lucas Pires erreichten die Christdemokraten bei der Europawahl 1989 14,2 Prozent der Stimmen. Nach den jüngsten Umfragen wird die CDS/PP dieses Mal nur auf zehn Prozent kommen. Die Portugiesen haben sich offenbar für eine andere Form des Protestes entschieden: 51 Prozent wollen gar nicht zur Wahl gehen. Theo Pischke