■ Das Karma des Underducks
: Der Enterich wird sechzig, und das Alter hat ihn mitgenommen. Der ursprüngliche Donald, der unfreiwillig komische Loser, stets im Widerstreit mit den Gemeinheiten der Gesellschaft, ist Geschichte.

Das Karma des Underducks

Amerikanische Lobbyverbände sind mächtig. Nicht nur die Regierung in Washington ist ihnen hörig, auch Walt Disneys

großes

Trickfilm-

imperium – ja letztlich ganz Entenhausen.

Die Geburtshelfer „eines der größten Kunstwerke dieses Jahrhunderts“, wie der Künstler Gottfried Helnwein Donald Duck bezeichnet, waren die Müttervereine der USA. Nur indirekt freilich, war es doch keineswegs in ihrem Sinne, daß am 9. Juni 1934 jene jähzornige Ente, der obendrein alles im Leben mißlang, als Vorbild auf ihre Kleinen losgelassen wurde. Durch öffentlichen Druck auf Disney jedoch hatten die Mütter in den Jahren zuvor erreicht, daß sich Micky Maus als Hauptfigur in Disneys Trickfilmen vom Schalk zum kreuzbraven Filmstar entwickelt hatte. Ohne eine komische Figur aber, das war Disney klar, war in der Trickfilmwelt kein Staat zu machen. So gab die heute berühmteste Ente der Welt vor genau sechzig Jahren ihr Filmdebüt als Mickys Gegenspieler.

In „Die kluge kleine Henne“ spielte Donald einen Tagedieb, der unter keinen Umständen dazu zu bewegen war zu arbeiten. Er liebte es, mit seinem Kumpel Peter Pig, dem Schwein, zu faulenzen, und lebte auf einem Hausboot – der Grund für seinen Matrosenanzug (den Disney übrigens später bereute, weil die blaue Mütze zu wenig Kontrast zum blauen Himmel abgab).

Da war sie nun, die Ente, die Inkarnation von Frechheit und Erfolglosigkeit, in einer Nebenrolle zwar, aber mit bleibendem Eindruck. Ob die Müttervereine das gewollt hatten? Ohne Rücksicht auf orthodoxe Pädagogik wurde jetzt der Charakter des Antihelden nach und nach zur Perfektion getrieben – mehr noch als im Film wenig später in den Comic strips, erdacht von einem Zeichner, dessen Name heute über Fachkreise hinaus bekannt ist: Carl Barks. Er war es, der zwischen 1935 und 1966 die Figur Donalds prägte, mit dem sich der Leser so gerne identifizierte, weil man im eigenen Scheitern einen Freund gefunden hatte.

Hierzulande brachte die 68er-Zeit den Durchbruch; Donald Duck wurde endgültig bei Erwachsenen und in klugen Kreisen salonfähig. Zunächst an den Universitäten, aus Protest gegen alles Bürgerliche. Doch sehr bald erkannte man, daß die Donald-Duck-Geschichten mehr waren als Antiliteratur. Donalds Taten und Leben als Kleinbürger, als Liebhaber, als autoritärer Onkel reizten zur Interpretation und Einordnung in den Historischen Materialismus. In den Buchläden tauchte Sekundärliteratur auf. Zum Beispiel 1970 das großartige Buch von Grobian Gans: „Die Ducks – Psychogramm einer Sippe“. Die „Donaldisten“ kanalisierten die zuvor diffuse Anhängerschar in Deutschland in einen Club und verfaßten kritische Abhandlungen etwa über das Geldsystem in Entenhausen.

Die Auseinandersetzung mit der Charakterfigur Donald Duck und der Parallelwelt Entenhausen war bemerkenswerterweise erst gestartet, als alles eigentlich schon wieder vorbei war. Die Psychoanalyse der Ente – insbesondere ihres Null-Sexuallebens – gelang immer treffender, doch sie betraf im Grunde nur ex post jenen Donald, den Carl Barks bis 1966 in seinen Geschichten geprägt hatte. An dessen geniales Werk aber kommen heutige Zeichner schon lange nicht mehr heran. Am treffendsten hat wohl Donald Ault den Trotzkopf seines Namensvetters auf den Punkt gebracht: Barks mache „aus Donalds Weigerung, von einer unvorteilhaften Situation Abstand zu nehmen, eine Tugend“. Seine schiere Existenz „begründet anscheinend Ereignisse, die aus ihm auf äußerst wirkungsvolle Weise ein Opfer, einen Sklaven derselben machen“. Ault nennt dies „Donalds Karma“.

Eines der vielen, vielen Beispiele: Donald mimt gegenüber dem Krösus Onkel Dagobert den starken Mann, will ihm beweisen, daß mit Geld nicht alles zu machen ist. Frech zettelt er einen Wettlauf mit seinem Oheim an, auf Entenhausens Hausberg „Satanszacke“ – und das Unheil nimmt seinen Lauf. Auf seiner Strecke begegnen Donald wilde Tiere, die weiß Gott nicht zur Fauna Entenhausens gehören: Erst schwingt er aus Versehen sein Kletterseil um den Hals eines Löwen, schließlich hängt ein Krokodil über ihm in der Felswand. Donald verflucht zwar das Schicksal, das sich wieder einmal gegen ihn verschworen hat („Löwen und Krokodile auf der Satanszacke! Das geht nicht mit rechten Dingen zu“), gibt aber selbstverständlich nicht auf.

Hier haben wir es, daß Donalds pure Existenz, wie Ault schreibt, nur „anscheinend“ diese „nicht rechten Dinge“ hervorruft, tatsächlich gab es für alles eine Erklärung: Dagobert hatte den Zoodirektor bestochen und die Tiere auf Donalds Strecke ausgesetzt. „Die Macht des Geldes“ heißt die Geschichte, die Donald wieder mal in seine Schranken verweist, sein ewiges Dasein als „Underduck“ festschreibt.

Aber die Zeiten der Barks-Geschichten sind vorbei. In den USA erscheint kein Micky-Maus-Heft mehr, der Ehapa-Verlag fertigt die deutsche Ausgabe in eigener Regie. Er beschäftigt eine ganze Reihe von Zeichnern, darunter den neuen Star: Don Rosa. Bei Umfragen unter Kindern haben seine Geschichten am besten abgeschnitten. Doch die feine Absurdität, die Barks produzierte, drastisch zwar, aber nicht überdreht, ist heute nur noch Literaturgeschichte. An sie kommen die Storys in den neuen Micky-Maus-Heften nicht heran und erst recht nicht die „Lustigen Taschenbücher“. Die neuen Zeichner mögen ihren eigenen Stil haben, Don Rosas Geschichten beispielsweise sind ähnlich wie Uderzos Asterix aufbereitet. Aber Donald ist einfach nicht ihre eigene Figur. So schreibt selbst der Ehapa-Verlag in seiner Laudatio zu Donalds Geburtstag über den „Glücksfall Barks“: „Es gab und gibt noch viele große Entenzeichner, doch er ist immer das große Vorbild aller geblieben.“

Donald Duck als Charakterperson, wie sie bis heute immer wieder beschrieben wird, hat seinen 60. Geburtstag nicht mehr erlebt. Sein Draufgängertum hat gelitten und sein Wahnsinn. Am meisten jedoch hat Donalds Schicksal an Charakter verloren, die unglücklichen Umstände, denen er stets ausgeliefert ist. Sein „Karma“ eben.