Lest Max Frisch!

■ Architekturstudenten entdecken den Schweizer Schriftsteller

Jeder Bauwettbewerb offenbart es: Die bürokratisch normierte Sprache der Planer verhält sich kaum noch kompatibel zur alltäglichen Wahrnehmung von Stadt und Architektur. Der Fachjargon läßt die Planungskultur zur Floskel erstarren. In diesem Dilemma des Spezialisten haben Architekturstudenten aus Braunschweig und Berlin Max Frisch als Therapeutikum entdeckt. Sie stellen den Autor als Kritiker vor: Max Frisch, der erst Germanistik, dann Architektur studierte, begann als Architekt und Städtebaukritiker zu schreiben.

„Städtebau ist in erster Linie gar keine Architekturfrage“ ist das Motto der ausgewählten Zitate auf den Schrifttafeln, deren Zeilen dem stehenden Leser bald vor den Augen tanzen. 1953 von einer Amerika-Reise zurückgekehrt, gerät der Schweizer Existentialist angesichts einer Brückenbaustelle in Zürich, die in den Monaten seiner Abwesenheit nur um einiges Unkraut gewachsen ist, ins Grübeln: „Verzicht auf das Wagnis, wenn er zur Gewöhnung wird, bedeutet im geistigen Bezirk ja immer den Tod...“ Er geißelt die Kompromißbereitschaft des Schweizer Städtebaus der Nachkriegszeit, ihre spießbürgerliche Schmuckheit und Sauberkeit. Wie eine Puppenstube erscheint ihm die Schweiz nach dem Erlebnis USA. Die Angst vor dem Monumentalen lasse selbst noch den Flughafen wohnlich erscheinen. Und mit dem Bekenntnis: „Ich bin ein Städter, ich bin ein Mieter, kein Bauer“, polemisiert er gegen das Dorf-Imitat im sozialen Wohnungsbau und fordert die „Satelliten-Stadt mit Schnellbahn und Hochhaus“.

Neben dem Bild des Architekten als Sozialreformer wird eine andere Verlockung in Frischs Architekturbildern spürbar. In biographischen Schnipseln ist nicht selten von der Kluft die Rede, die ihn „da oben mit der Ledermappe“ von denen, die „mit lehmigen Stiefeln im Dreck waten“, trennt. Das schlechte Gewissen, das den Sozial-Utopisten für die Trennung in Kopf- und Handarbeiter bedrückt, ließ sich auf der Baustelle abarbeiten. Rückblickend ironisierte der Schriftsteller seinen Wunsch, „endlich zur Mehrheit zu gehören“ und „heiraten“ zu können.

Allein die romantisierende Identifikation mit den Tätigen geriet schnell ins Wanken. Walter Obschlager, Leiter des Max Frisch Archivs in Zürich, zeichnete anläßlich der Ausstellungseröffnung die metaphorische Bedeutung nach, die die Architektur in ihr artikulierte als die Hoffnung auf die Gestaltbarkeit des Lebens. Doch durch das Gebäude der Selbstvergewisserung liefen immer wieder Risse; der Zweifel wurde zum Motor des Schreibens. Diese feine Nutzung eines Abfallprodukts des Architekten mag den Studenten wie ein Versprechen vorkommen: Neben dem Beruf winkt die Kunst. Katrin Bettina Müller

„Max Frisch, Architekt“ im Foyer des Architekturgebäudes der TU am Ernst-Reuter- Platz, Straße des 17. Juni 152, bis 1. Juli, Mo.–Fr. 10 bis 20 Uhr.