■ Serie: Verwaltungsreform (zweiter Teil) - In den vergangenen 20 Jahren hat sich in Berlin eine einmalige Projektlandschaft etabliert. Droht den Projekten jetzt das Aus?
: Wird die Reform zur Falle?

Wird die Reform zur Falle?

Bedroht die Verwaltungsreform die einmalige Projektelandschaft, die sich in den vergangenen zwanzig Jahren in Berlin mühsam etabliert hat? Diese Befürchtung besteht zumindest auf seiten der Projekte, die in den Bereichen Gesundheit, Soziales, Frauen und Jugend arbeiten. Die kleinen freien Träger, deren Wirkungskreis überwiegend im Bezirk liegt, sollen zum 1. Januar 1995 von der Senatsverwaltung in die Verantwortung der Bezirke abgegeben werden. Die Bezirke müssen die freien Träger künftig aus dem Globalhaushalt finanzieren. Nur die Projekte mit einer überbezirklichen Funktion bleiben in der Obhut der jeweiligen Senatsverwaltung.

„Es ist davon auszugehen, daß durch die Verlagerung in die Bezirke etwa ein Viertel der Projekte und kleinen freien Träger entweder der Spar- oder der Regionalisierungspolitik oder einer sich abzeichnenden Monopolisierung der Trägerlandschaft zum Opfer fallen werden“, lautet die düstere Prognose von Karin Stötzner, Mitarbeiterin der Selbsthilfe Kontakt- und Informationsstelle SEKIS. Die Existenzbedingungen der kleinen Träger würden in den ersten Jahren auch durch die Unerfahrenheit der Bezirke bei der Verwaltung der Gelder erschwert. In einem offenen Brief an die Abgeordneten fordert das Plenum von 450 Projekten deshalb, daß die Verwaltungsreform „nicht zur Falle für kleine freie Träger werden darf“. In den politischen Vorlagen fehle ein Votum für die „Erhaltung der Angebotsvielfalt“. Hier müßten eindeutige Vorgaben gemacht werden. Für Unruhe und Verunsicherung sorgt die Umstellung bei Trägern und Bezirksverwaltungen gleichermaßen. Die Träger verlieren ihre festen Ansprechpartner und eingespielten Kontakte in der Senatsverwaltung. Möglicherweise gerät ein Frauenprojekt im Bezirk an einen CDU- Stadtrat oder ein Ausländerprojekt an einen Stadtrat der „Republikaner“, der von der Notwendigkeit ihrer Arbeit nur schwer zu überzeugen ist.

Die Bezirke wiederum befürchten, daß ihnen zwar die fachliche und finanzielle Verantwortung zugeschoben wird, sie aber nicht die Mittel erhalten, um die Aufgaben auch tatsächlich wahrzunehmen. Denn zugleich sehen sie sich mit den Sparauflagen des Senats konfrontiert. „Die Bezirke befürchten, daß der Senat den Vollzug der Sparmaßnahmen auf die Bezirke abwälzt und sie die Konflikte ausbaden müssen“, beschreibt Karin Stötzner die Lage. Die Zeiten, wo man getrost auf den „bösen“ Senat verweisen konnte, der ein vom Bezirk befürwortetes Projekt nicht finanzieren will, sind vorbei.

„Die Bezirkspolitiker haben Angst, unpopuläre Entscheidungen treffen zu müssen“, bestätigt Kreuzbergs Sozialstadträtin Ingeborg Junge-Reyer (SPD). Dieser Verantwortung müsse man sich aber stellen. Auch was die finanziellen Perspektiven betrifft, ist sie keineswegs pessimistisch. Für die beiden kommenden Jahre seien bei den Kreuzberger Sozialprojekten „keine entscheidenden Einbußen“ zu erwarten.

Dennoch ist zu befürchten, daß sich in Zukunft die finanziellen Spielräume der Bezirke eher verengen. Etwa zwei Drittel der bezirklichen Haushaltsmittel sind ohnehin für „Pflichtaufgaben“ gebunden, nur ein Drittel kann nach eigenen Prioritäten vergeben werden. Die kleinen freien Träger, die überwiegend zur „Kür“ gehören, müssen aus diesem Drittel finanziert werden. Sie befürchten, daß sie als erste über die Klinge springen müssen, wenn sich Löcher im Haushalt auftun. Sie befürchten weiter, daß die Bezirke den großen Trägern den Vorzug geben, weil es schlicht bequemer wäre, mit einigen großen Trägern statt mit vielen kleinen zusammenzuarbeiten.

Bei allen Existenzängsten der Projekte dürfte die Verwaltungsreform aber auch zu einer erheblichen Belebung bezirklicher Demokratie beitragen. Hierin liegt die eigentliche Chance. Wenn die Bezirkspolitiker künftig selbst entscheiden können, ob sie neue Straßen bauen oder Kitas finanzieren, können die BürgerInnen ihren Einfluß stärker geltend machen.

Für Konfliktstoff könnte auch die Zuständigkeit der Bezirke für Projekte sorgen, die sozial Schwache beraten. Tendenziell „verursachen“ sie zusätzliche Kosten, wenn sie Sozialhilfeempfänger über ihre Rechte aufklären und ihnen helfen, diese gegenüber dem Sozialamt durchzusetzen. „Das kann zu Konfrontationen führen“, prophezeit Karin Stötzner. Im schlimmsten Fall könnten solche Projekte abgesägt oder durch die finanzielle Abhängigkeit vom Bezirk zumindest diszipliniert werden. Auch deshalb drängen die freien Träger auf mehr Mitspracherechte in den Bezirken. Analog zum Jugendwohlfahrtsausschuß, in dem Träger beratend mitwirken, könnte beispielsweise eine „Sozialkonferenz“ geschaffen werden.

Im Ostteil der Stadt droht die Verwaltungsreform, die bestehenden Ungleichheiten festzuschreiben. „Die Mittelverteilung schreibt den Ist-Zustand fest“, konstatiert Stötzner. Während ein Großteil der Westträger seit Jahren aus der Regelfinanzierung der öffentlichen Haushalte finanziert wird, halten sich die Ostträger überwiegend mit Mitteln aus Arbeitsförderungsmaßnahmen über Wasser.

Die im Globalhaushalt vorgesehenen Mittel werden aber nicht ausreichen, um die entstandene soziale Infrastruktur nach Auslaufen der Fördermittel im bisherigen – bescheidenen – Umfang zu erhalten. Die Ostbezirke fordern deshalb eine Umschichtung der Mittel. Sie verlangen, daß zumindest ein Teil des Finanzvolumens der Westträger in den bezirklichen Etats eingeplant wird.