Glückshormone freigesetzt

Positives aus der Soundoase: Ellen Alien, Berliner DJane zwischen Techno, Tekkno, Turbo und Trance, auf dem Weg zu größerem Rave-Ruhm  ■ Von Peter Kessen

„Das Schaukeln des Zugs, die vorbeirasende Nacht, das hat zusätzlich Glückshormone freigesetzt. War mein bester Rave überhaupt“, rekapituliert DJ Ellen Alien. Zu Pfingsten initiierte die 25jährige Berlinerin mit der Radiostation KissFm den sogenannten RaveTrain: Acht nächtliche Stunden lang ließ er rund 800 Technotänzer um die Hauptstadt kreisen.

Für Ellen Alien der Höhepunkt einer zweijährigen Karriere. Die Stationen: zunächst Barfrau und simple Auflegerin im Schöneberger „Fischlabor“, „echte“ DJ-Premiere im „Bunker“, Schallplattenverkäuferin. Dann fester weiblicher Radio-DJ (Insiderwort: „DJane“) bei KissFm. Und am Ende alles zusammen: Rave-Beschallerin mit rund einem Dutzend Terminen im Monat (auch in den bekannten Clubs „Tresor“ und „E-Werk“), Partygroßveranstalterin, Star und Promoterin der im Juni erscheinenden Platte bei einem deutschen Medienkonzern. Zur Love-Parade, die Anfang Juli in Berlin stattfinden wird, organisiert Ellen eine rund 60stündige Techno-Live-Übertragung aus dem Tresor – über KissFm und eine Berliner TV-Station.

Mischpult und Plattenteller als Alternativkarriere der vielbeschworenen „Generation X“? Die Resonanz ist immerhin beträchtlich. Techno-DJs erstrahlen als Zeremonienmeister und Hohepriester über der Volksbewegung der Ravisten. Sven Väth, der erste Superstar der Szene, Westbam, der Pionier, aber auch Newcomer wie Kid Paul und Marusha vergolden ihren Status als Kultsubjekte: Marushas Single „Over the Rainbow“ verkaufte sich bislang eine halbe Million Mal, im Windschatten schaffen stampfsüchtige Produktionen des LowSpirit-Labels unter Westbam den Einzug in die Top 40. Und dann natürlich die ewige Fete live: 30.000 jubelten Ende April beim Mega-Rave in der Dortmunder Westfalenhalle.

Doch das ist Ellen Alien bereits eine Nummer zu groß. „Die Riesen-Raves, wo ich dabei war, die waren alle Scheiße“, kommentiert sie. Und organisiert Mitte Juni mit dem Berliner Altmeister Tanith einen konspirativen „Illegal Rave“. In einer militärischen Einrichtung im Umland soll er stattfinden. Infos nur über Telefon, geheime Bustreffpunkte ... „Bei Westwind werden wir wegen Ruhestörung von der Polizei geräumt!“

Aufbruch zu neuen Abenteuern? Oder subversiv-melancholisches Zurück zu den Anfängen anno 90, als Techno in Berlin noch unter Kerzenschein in Bunkern und Abrißhallen feierte? Eher ein SOS. Schließlich hat die selbsternannte „Bewegung“ einen schlimmen Winter hinter sich. Dutzendweise gescheiterte Groß-Raves, organisiert von Techno-fremden Abzockern, veranlaßten das Szene-Sprachrohr Frontpage, seine Veranstaltungsberichte mit Trauerflor zu umranden. Ellen versucht, mit neuen „Locations“ die Rave-Aura zu retten – das ewige Ereignis.

Doch trotz ihrer Kritik hält sie den grassierenden Streit zwischen Underground und Overground für Unsinn. „Alle haben viel für die Bewegung getan, gerade Marusha. Es gibt keinen Killer! Alle haben ihre Berechtigung.“ Das mediensmarte DJtum ist pragmatisch, stellt das „rhizomatische“ Denken, mit dem man es immer wieder in Verbindung gebracht hat, gelegentlich auch vom Kopf auf die Füße: „Suche nicht die Wurzel, folge dem Kanal!“ Und der führt bekanntlich an die Spitze – wo Pop-Bewegungen traditionell hinstreben.

Als „DJane“ teilt Ellen die karrieregünstige Kalkulation der Szene: Keine Kritik, kein schlechtes Wort über Kollegen, Zeitschriften, auch nicht über fadenscheinige Technoausstellungen wie die Berliner „Technographica“ vom April, auf der Gschaftlhuber aus der Werbebranche die Musik mittels etabliert-knalliger Graphik am Macintosh DM-trächtig eingemeindeten. Das sei doch alles nicht schlimm, meint Ellen, die Graphiker und Videoanimateure hätten doch gerade erst angefangen! Sicher, nicht gerade der Renner, aber es motiviere viele und bringe „Sponsoren für Leute, die kein Geld haben, um weiterzukommen“. Du brauchst sie eben alle, um nach oben zu kommen.

Und das je mehr, je unklarer das eigentliche Zentrum wird. „Techno“ firmiert 1994 bloß noch als Sammelbegriff für eine in den letzten drei Jahren aufgeblühte Stilvielfalt: Von wabberndem Ambiente und Trance-Klängen, Gabber mit einem Trommelfeuer von bis zu 300 Beats pro Minute über die irren Synkopen des Breakbeats bis hin zu diversen Kreuzungen mit melodischem House. In diesem hybriden Geist will Ellen Alien arbeiten – „progressiv-positiv-experimentelle-elektronische-Dance- Musik-mit-warmen-Klängen“ machen. Ihre Maxi verzichtet auf die chartgängige Marschmusik à la Westbam, verfolgt eher Soundkonstruktivismus mit Breakbeat- und House-Einflüßen.

Und trotzdem findet sie den gemeinsamen Nenner mit der „Bewegung“ immer wieder. Vor zwei Jahren besuchte Ellen noch eine Akrobatikschule, spielte Saxophon und Schlagzeug, hörte am liebsten HipHop und hing im legendären „WMF“ am Potsdamer Platz ab. „Die Typen da sind mir dann auf die Nerven gegangen. Ewig besoffen und du wirst dann angegrapscht. Ekelhaft prollig. Und bei Techno konnte ich sechs Stunden tanzen ohne angegraben zu werden: keine Schlägereien, keine Anmache. Wenn du bei Raves die Augen aufgemacht hast, waren die Leute schöner, ästhetischer. Es ging nicht darum, mit den Hüften zu wackeln, sondern um abfahren, sich gehen lassen. Techno ist die einzige Musik, wo das geht.“ Anders als bei HipHop bleibt die Politik dabei draußen. Techno ist Initiation und Ritual: The Ich-Körper rules. „Ich hab' im Kopf einen Sound entdeckt, ich hab's einfach verstanden. Im Herzen, im Bauch, Hormone werden frei gesetzt. Ich bin glücklich dabei.“[Na dann! d.sin]

Nicht umsonst liest ein Mann wie Sven Väth Castañeda. Ellen wehrt sich aber dagegen, diesen selbstinduzierten Behaviorismus, dieses künstliche Paradies in dir, das von nichts mehr erzählt, reaktionär auszudeuten. Für sie ist es „positive Freizeitgestaltung“. Weshalb die Zukunft auch heißt: „Lernen. Weiter. Weiter. Größerwerden. Junge Leute kommen immer mehr dazu. Damit es für uns interessant bleibt.“

Bloß für die gilt das nicht, die „sich die Hacke geben. Nur noch Raven, Zuknallen und dummes Gelaber.“ Die müssen nämlich draußen bleiben.