Do it a cappella!

Women's only, aber sonst sehr gemischt: Die britischen Vokalensembles Mint Juleps und Black Voices  ■ Von Christoph Wagner

Instrumente können auch zur Last werden – gerade für Tourneemusiker. Wer sich keinen Roadie leisten kann, ächzt auf die Dauer unter ihrem Gewicht. Trommelkisten, Cellokoffer, Gitarrenkasten – alles will herumgeschleppt, hin- und hergeschoben und verstaut sein, und das immer und immer wieder – tagaus, tagein.

Deshalb dieser Traum, den Instrumentalisten gerne im Geheimen träumen: ein Sänger zu sein. Denn Vokalisten haben es ja gut. Das Instrument stets dabei, keine Diebstahlgefahr, kein Ärger auf dem Flughafen ...

Die Wirklichkeit ist leider nicht ganz so traumhaft. Die Stimme, das Urinstrument, ist nur mäßig strapazierbar, höchst anfällig und stark erholungsbedürftig. Gerade Vokalgruppen pflegen darum ihren eigenen Tournee- Rhythmus – wenn sie es sich leisten können (Konzertagenten und Tourneemanager haben da oft ihre eigenen Vorstellungen). Als Faustregel gilt: nicht mehr als drei Konzerte in Folge, dann einen Tag „off“, sonst streiken die Stimmbänder.

„Auf Tour lernst du deine eigene Stimme erst richtig kennen“, erzählt Debra Charles. „Ihre Eigenheit – was ihr bekommt und was nicht. Du spürst, welch himmelweiter Unterschied zwischen Sprach- und Singstimme besteht.“

Debbie Charles weiß, wovon sie spricht. Als Mitglied der englischen Vokalgruppe Mint Juleps (= Whiskey mit Eis und frischer Minze; so etwas gibt es in England) hatte sie in den letzten Jahren reichlich Gelegenheit, Erfahrungen mit ihrer Stimme zu sammeln. Es kann aber nicht nur an den niedrigeren Equipment-Kosten von A- capella-Ensembles liegen, daß sie fast ständig und um die halbe Welt auf Tour waren. Die Londoner Band war ganz einfach gefragt – wie übrigens einige Vokalensembles in der letzten Zeit. Mal traten die sechs Frauen im „Vorprogramm“ von UB 40, Kool and the Gang und Sister Sledge auf, dann reisten sie mit den Fine Young Cannibals monatelang kreuz und quer durch die USA. Oder sie waren auf dem Kontinent in eigener Sache unterwegs – auf Clubtour durch Holland, Belgien, Frankreich und Deutschland.

Es liegt am Sinn für Pragmatik, nicht unbedingt an der Lebenseinstellung, daß auf diesen Touren das typische Rock-'n'-Roll-Leben nicht stattfindet. Selbst bei halbwegs stimmfreundlichem Lebenswandel kann es passieren, daß man eines Morgens aufwacht und mehr als ein kümmerliches Krächzen dem Kehlkopf nicht zu entlocken ist. In solchen Fällen bewirken homöopathische Hausdrogen Entscheidendes. „Gegen Heiserkeit gibt es nichts Besseres als Milch mit Honig oder heißen Zitronensaft“, schwört Debbie Charles. „Wenn auch das nichts nutzt, muß man sich eben mit Routine über den nächsten Abend retten.“

Daran fehlt es den Juleps nicht, die dieses Jahr bereits ihr Zehnjähriges feiern. 1984 war die Gruppe entstanden – aus Zufall, wie es in solchen Fällen gern heißt. Ein Freund suchte für die Eröffnung eines Clubs eine Band und fragte bei guten Bekannten an. Die Ur- Juleps, um die es sich dabei handelte, sagten kurzentschlossen zu. Das Debüt wurde ein Erfolg, und so entpuppte sich der Zufall mehr und mehr als kreative Notwendigkeit: mehr Auftritte, erste Auszeichnungen (etwa als „Street Entertainer of the Year“, vergeben von dem Londoner Stadtmagazin Time Out).

Schon ein Jahr später wurde die erste Platte aufgenommen. Das Stiff-Label, ein Trendsetter dieser Jahre, war dafür eine exzellente Adresse. Plattensessions mit Bob Geldof, Alison Moyet und den Thomson Twins folgten, und es ergab sich eine Zusammenarbeit mit dem südafrikanischen Männerchor Ladysmith Black Mambazo: für eine Fernsehshow von Spike Lee, die den Titel „Do it a cappella“ trug. „Ziemlich schüchterne Jungs“, erinnert sich Debbie Charles. Doch im Grunde reicht die Geschichte der Gruppe viel weiter zurück. Erste Spuren finden sich in den siebziger Jahren im Londoner East-End. Zu dieser Zeit sangen die vier Mädchen der Charles-Familie, die heute den Kern der Juleps bilden, im Kirchenchor ihres Stadtteils Stepney Green. Zehn- bis dreizehnjährige Gören unter lauter Erwachsenen – ihrer guten Stimmen wegen. Und was wie ein Genre-Bild aus „Sister Sledge II“ klingt, gehört zu Debra Charles' alltäglicher Erfahrung: Oft, so erzählt sie, versuchten sie und ihre Schwestern, in die steifen Hymnen und puritanischen Choräle der (vorwiegend weißen) Gemeinde etwas Funk, Soul und Pop hineinzuschmuggeln. Nicht immer mit Erfolg. „Girls, calm down!“ war der Spruch des Pfarrers.

Immerhin hat dieser Purismus den Charles-Schwestern nicht den Spaß an der Kirchenmusik verdorben. Sie ist sogar (allerdings in ihrer afroamerikanischen Variante – und das ist ein Riesenunterschied!) fester Bestandteil des Juleps-Repertoires – wobei sich die Gospels mindestens so gut mit Doo Wop, Soul und Reggae vertragen wie Whiskey mit Pfefferminz.

Was die Mint Juleps für London sind, sind die Black Voices für Birmingham – auch wenn diese erst 1990 gegründet wurden. Beide Ensembles sind schwarz, rein weiblich und singen die Stilpalette der „Black Music“ rauf und runter – und das a cappella! Ähnlichkeiten bestehen zudem in der kulturellen Herkunft. Bei den Mitgliedern beider Ensembles handelt es sich um Kinder karibischer Einwanderer, die in den fünfziger Jahren ins Vereinigte Königreich kamen. Geboren in England, wuchsen sie im Widerspruch zweier Lebenssphären auf, die Wand an Wand zu finden und doch Lichtjahre voneinander entfernt waren.

Stärker noch als die Juleps orientieren sich die Black Voices am kulturellen Erbe, der black heritage, die nicht nur Spaß, sondern auch Orientierung bieten soll. Schon die traditionellen Gewänder, die sie bei ihren Auftritten tragen, machen das klar. Und natürlich ist Afrika oberstes Leitbild. Während viele Afrocentricity-Rapper aus den USA allerdings nie aus der amerikanischen Diaspora rausgekommen sind, haben die Black Voices den schwarzen Kontinent bereist und überall, sozusagen „vor Ort“, Songmaterial gesammelt. In Ghana, Nigeria, Tansania und Kenia wurde die Möglichkeit genutzt, lokale Gesangstechniken zu erlernen, um bei Aufführungen möglichst nahe am Original zu sein.

Was manche für naive „Back to Africa“-Schwärmerei halten könnten, ist allerdings viel konkreter an alltägliche Erfahrungen gebunden, als die Oberfläche signalisiert. „No dogs, no blacks!“ – kein Schnee von vorgestern, Carol Pemberton, die Leiterin der Black Voices, kann sich an diverse Szenen ihrer Kindheit noch gut erinnern. „Resistance“ heißt deshalb eines ihrer Schlüsselworte. Und „Get up, stand up! Stand up for your rights! Get up, stand up! Don't give up the fight!“ – Bob Marleys kämpferischer Song, fehlt bei keinem Auftritt der Gruppe.

Dieselbe Haltung liegt auch der Adaption von Gospels und Spirituals zugrunde. Seit den Anfängen der Sklaverei waren sie Hymnen einer „Theologie der Befreiung“; ihr ekstatisches Tremolo nährte die Hoffnung, das elende Dasein eines Tages mit Gottes Hilfe zum Besseren zu wenden. Und es handelte sich nur um eine weltlichere Auslegung, wenn schwarze Kirchenlieder in den frühen sechziger Jahren zu Kampfgesängen der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung wurden; bekanntlich wuchs sie ja aus den schwarzen Kirchen des Südens heraus, angeführt vom Baptistenpfarrer Martin Luther King.

Doch so einsinnig ist diese Tradition auch wieder nicht zu beerben – gerade für Frauen. Carol Pemberton ist zwar im Umkreis der englischen „Black Church“ groß geworden und hat die Widerstandskraft der Spirituals früh erfahren. Als Mutmacher wurden sie noch in den fünfziger Jahren in der elterlichen Wohnung gesungen, als der Vater, ein Methodistenpriester aus Jamaika, sich gezwungen sah, seinen eigenen Hausgottesdienst im kleinen Kreis abzuhalten, weil ihm die offizielle „Church of England“ die Anerkennung verweigerte. Doch während der Gesangsstil diesseits und jenseits des Atlantiks sich gewaltig unterschied – in den USA skandiert man mit Emotion und Inbrunst, in den schwarzen Gemeinden Großbritanniens eher zurückhaltend –, waren sich die patriarchalischen Züge der Communities recht ähnlich.

Das änderte sich für Carol Pemberton erst, als sie mit zwei Freundinnen ihre eigene Gruppe gründete. Seither sind, genau wie bei den Juleps, nicht nur Kirchenlieder im Repertoire der Black Voices, sondern auch Jazz, Blues, selbst Reggae – die „Teufelsmusik“, die im Haus ihres strenggläubigen Vaters nicht geduldet war. Aber das ist nun wirklich Schnee von gestern.

Platten:

Mint Juleps – Live beim „Women in (E)motion“ Festival. Traditon & Moderne/Indigo T&M 104

Black Voices – Live beim „Women in (E)motion“ Festival. Tradition & Moderne/Indigo T&M 103