Unwürdige Tafel

■ Scharfe Kritik an Kempinski-Gedenktafel / Jüdischer Runder Tisch ehrt die Opfer der Arisierung mit Kaddisch

Ganz und gar unzufrieden zeigte sich gestern Charlottenburgs Bürgermeisterin Monika Wissel (SPD) mit dem Verhalten der Kempinski AG. „Es hätte der Firma Kempinski besser angestanden, noch einen Moment länger zu diskutieren. Ich halte den Text für unvollständig. Es ist auch unwürdig, ihn so hoch anzubringen, daß er kaum zu lesen ist.“ Ende Mai hatte der Konzern in einer Nacht- und-Nebel-Aktion an seinem Hotel in der Fasanenstraße eine Tafel angebracht, auf der an die „Arisierung“ des Restaurants Kempinski im Jahre 1937 erinnert wird. „Angehörige der Familie Kempinski wurden umgebracht, andere konnten fliehen.“ Am selben Tage hatte das Hotelunternehmen, das seit den siebziger Jahren den Namen der Familie der Opfer führt, das Buch „M.Kempinski & Co“ von Elfi Pracht einer ausgewählten Öffentlichkeit vorgestellt. Bedeutet das nun den Schlußstrich unter die Kempinski-Affäre?

Der Jüdische Runde Tisch hatte gestern zu einem Pressegespräch zu diesem Thema eingeladen. In der Vergangenheit hatte sich gerade diese Gruppe für ein „wahrheitsgemäßes Gedenken“ eingesetzt. Die jetzige Tafel erfüllt diese Anforderungen nicht, denn sie erwähnt keine Täter. Demgegenüber benannte Fritz Teppich, Angehöriger der Familie Kempinski, in seinem Text Paul Spethmann, seinerzeit Vorstandsmitglied der Aschinger AG, als Verantwortlichen: „Jüdinnen wurden in der ,arischen‘ Kempinski GmbH unter P. Spethmann zu Zwangsarbeit gezwungen bis zur Deportation in Vernichtungslager.“ Die jetzige Tafel kommentierte Peter Moses- Krause, Sprecher der Jüdischen Gruppe, mit folgenden Worten: „In der Erinnerung verschwindet da die Geschichte.“

Nach Abschluß des Pressegesprächs wurde nachgeholt, was die Kempinski AG bei ihrer Gedenktafelenthüllung vor zehn Tagen versäumt hatte: die Opfer durch einen Kaddisch, das jüdische Totengebet, zu ehren. Direkt unter der Tafel sprach der Kantor der Synagogengemeinde Adass Jisroel das Gebet, danach wurden Steinchen für die Toten niedergelegt. Außer Fritz Teppich waren daran zwei weitere Angehörige der Familie Kempinski beteiligt. Eine Urenkelin des Firmengründers Berthold Kempinski, Monika Schubert, hielt sich sogar vor zehn Tagen in Berlin auf – zwei Tage, bevor die Kempinski AG einem ausgewählten Kreis Buch und Gedenktafel vorstellte. Frau Schubert hatte sogar mit dem Hotel am Kurfürstendamm telefoniert. Eingeladen wurde sie dennoch nicht. Der „geheimnisvolle“ Charakter der Aktion, wie es Monika Wissel nannte, wird dadurch ebenso unterstrichen wie die Tatsache, daß es der Firma gar nicht um einen Dialog mit den Betroffenen ging. „Das war eine Nacht-und-Nebel-Aktion, so als gäbe es gar niemanden mehr aus der Familie Kempinski“, stellte Mario Offenberg, Geschäftsführer der Gemeinde Adass Jisroel, fest. „Es geht um die Menschen, die Toten und die Lebenden.“ Martin Forberg