Eine Kümmerform von Gesellschaftskritik

■ Gegen Rassismus kann man sich intellektuell nur mit Universalismus wehren

Der Rassismus, schreibt Detlev Claussen, sei „der letzte gemeinsame Negativwert, der nicht nur von der westlichen Öffentlichkeit, sondern von der Weltöffentlichkeit geteilt wird“. Wie jeder weiß, ist das kein Grund zur Beruhigung. Die globale Ächtung des institutionalisierten Rassismus – man denke nur an die breite Zustimmung zum Machtwechsel in Südafrika – und zahllose lokale rassistische Praktiken sind synchrone Phänomene einer politischen Welt.

Taugt der Begriff „Rassismus“, um sie als solche zu begreifen? Detlev Claussen meldet ernste Zweifel an. Sie speisen sich vor allem aus der Beobachtung einer starken Moralisierung der Debatte. Der „Antirassismus“ ist auf dem besten Wege, eine „Kümmerform von Gesellschaftskritik“ zu werden, ein intellektuelles Ohnmachtssymptom der Linken: „Rassistische Vorurteile und Auschwitz werden als unumstößlich letzte Beweise eines mindestens fünfhundertjährigen Irrwegs westlicher Zivilisation seit Kolumbus' Ankunft in Amerika 1492 genommen.“ Rassismus, Kolonialismus, Universalismus und Aufklärung werden im Schwung einer Generalabrechnung identifiziert.

Was dabei unter den Tisch fällt, bemerkt Claussen mit soziologischem Blick. Der Rassismus, wo auch immer er die Wissenschaften anzapft, dient zur Legitimation antiuniversaler Praktiken, zur Rechtfertigung der Kenntlichmachung, des Ausschlusses, der Vertilgung der anderen. Es ist nicht zu sehen, wie man sich dagegen intellektuell erwehren könnte, wenn nicht eben durch den in Verruf geratenen Universalismus.

Daran festzuhalten heißt nicht, wie die von Claussen versammelten Klassiker der Rassismusdebatte nach 1945 zeigen (Hannah Arendt, Frantz Fanon, Claude Lévi-Strauss, Albert Memmi), daß man sich auf Manifeste und Appelle zurückzieht, die alle doch nur dünne Aufgüsse der Erklärung der Menschenrechte sein können. Es hilft auch nichts, daß man immer wieder das altbekannte Ritual aufführt, bei dem ein „konstruiert dummer Rassismus zum hundertsten und tausendsten Mal von einer allwissenden Aufklärung widerlegt wird“. Es kommt heute darauf an, den „Realitätsgehalt“ der rassistischen Ideologien in Augenschein zu nehmen. Claussen macht hier nur Andeutungen: Im Kern des Rassismus gehe es um „das gewaltsame Verhältnis von Körper und Arbeit“: „Bevölkerungsexplosion und globale politisch-ökonomische Ungleichheit rufen ein weltweites Überangebot von Körpern ohne Arbeit hervor. Sie reaktivieren rassistische Verlockungen von unbegrenzter Herrschaft über Menschen und xenophobe Ängste vor der Rache der Zukurzgekommenen.“

Daran mag schon etwas sein. Trotzdem muß die künftige Rassismusforschung wohl einen anderen Blickwinkel einnehmen. Denn aus solcher Abstraktionshöhe erschließen sich zwar globale Zusammenhänge; es läßt sich aber nicht mehr erkennen, warum hier riots, da Pogrome und dort Konzentrationslager das Resultat sind.

Sehr viel genauer ist der Text des in Tunis geborenen französischen Juden Albert Memmi, der statt einer Rassismus-Definition ein fein differenziertes Panorama der Zurückweisungen bietet, die zwischen dem kruden Biologismus und feineren Formen der Xenophobie zu finden sind. Rassismus, das läßt sich gerade hierzulande beobachten, kommt heute oft ganz sanft daher – als Rede über „Identität“ zum Beispiel. Die Neue Rechte, sehr lernfähig, sehr beflissen, argumentiert kulturell, wenn es darum geht, die anderen draußen zu halten. Jörg Lau

Detlev Claussen: „Was heißt Rassismus?“. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 227 Seiten, 29,80 Mark