■ Nagelprobe für die diplomatische Hegemonie des Westens
: Ein asiatischer Emanzipationsprozeß

Daß sich die Krise der ostasiatischen Region nach 1989, dem Jahr des Tiananmen-Massakers, nun wieder zuspitzt und der verzweifelte Versuch eines wirtschaftlich ausgebluteten Nordkorea, mit der Atomdrohung Gehör bei seinen Nachbarn zu finden, in ihr Zentrum rückt, scheint auf den ersten Blick dem zeitgeschichtlichen Lauf zu folgen. Da steht ein abgehalfterter kommunistischer Diktator den Hütern von Frieden, Demokratie und Wohlstand gegenüber. Die freie Welt gegen Kim und ein paar chinesische Spielverderber – so lautet der Regieplan jener westlichen Strategen, die damit freilich selbst ein erschreckendes Beispiel von Weltfremdheit geben.

Denn obgleich die politischen und militärischen Bündnisse in Ostasien heute kaum anderer Natur sind als vor fünf Jahren, haben sich heute die Kräfteverhältnisse zwischen den asiatischen Großmächten und Amerika grundlegend gewandelt. Die Nordkoreakrise verdeutlicht dies nun auf verblüffende Weise. Japan will hier eine eigenständige diplomatische Rolle einnehmen. Tokio besteht auf bilateralen Konsultationen mit Seoul, Peking und Pyongyang, ein vor Jahren noch unvorstellbarer Unabhängigkeitsbeweis. Die chinesische Führung aber hat ihre Isolation längst überwunden und ist den Regierungen in Seoul und Tokio zu einem so unersätzlichen Dialogpartner geworden wie deren amerikanische Schutzmacht.

Grundlage dieses neuen politischen Selbstbewußtseins in Ostasien ist die unaufhaltsame Wirtschaftsexpansion der gesamten Region. Amerika und Europa müssen deshalb schleunigst von ihrer noch aus der Kolonialzeit überlieferten Vorstellung Abschied nehmen, die Interessen des Westens ließen sich in Asien am besten mit Druck, Drohungen und Sanktionen durchsetzen. Ein ähnliches Versagen wie im Fall der „menschenrechtsorientierten“ Chinapolitik droht nun auch der Nordkoreapolitik der USA, falls diese auf Sanktionsmaßnahmen bestehen, die in den meisten asiatischen Ländern nicht nur von den Regierenden abgelehnt werden.

Nicht die Ziele Washingtons sind falsch: die Marktöffnung in Japan, die Menschenrechte in China und die Einhaltung des Atomwaffensperrvertrages in Nordkorea sind jeweils wichtige Forderungen an eine langfristig angelegte westliche Asienpolitik. Doch wer im Westen solch langfristige Ziele in kurzfristige Krisenstrategien einbindet, wird an den Mächten Asiens scheitern. Der Zeitrhythmus der Diplomatie folgt hier nicht dem westlichen Kalendarium. Er nimmt auch nicht auf das Auslaufdatum des Atomwaffensperrvertrages im Jahr 1995 Rücksicht. Und so ließe sich im Rückblick eines Tages vielleicht der Zusammenhang zwischen den Pekinger Ereignissen im Frühsommer 1989 und dem west-östlichen Diplomatieversagen gegenüber Pyongyang fünf Jahre später erkennen. Allen greisen Machthabern zum Trotz verbirgt sich dahinter ein asiatischer Emanzipationsprozeß. Georg Blume