Karriere bei Kautschuksammlern

Anthropologin Mary Allegretti bekämpft Armut am Amazonas  ■ Von Astrid Prange

Rio de Janeiro (taz) – Spätestens nachdem Mary Helena Allegretti von Gummizapfern im Amazonas schwärmte, stand für Freunde und Familie fest: Die Tochter aus gutbürgerlichem Hause war auf die schiefe Bahn geraten. Daß eine Anthropologin aus Südbrasilien ihr Leben verarmten Amazonasbewohnern widmete, war selbst für die „Seringueiros“, wie die Kautschuksammler in Brasilien genannt werden, schwer zu begreifen. Doch der Einsatz hat sich gelohnt: Heute zählt Mary Helena Allegretti, 1990 mit dem UNO-Umweltpreis „Global 500“ ausgezeichnet, zu den bekanntesten Umweltschützern Brasiliens.

„Ich habe alles hingeschmissen“, erinnert sich die heute 46jährige. 1981 hängte sie ihre akademische Karriere als Professorin für Anthropologie an der Universität des südbrasilianischen Bundesstaates Parana in Curitiba an den Nagel. Das Sorgerecht für ihren damals achtjährigen Sohn überließ sie vorübergehend ihrem geschiedenen Ehemann. Der Grund: Während der Feldstudien für ihre Doktorarbeit über die Seringueiros aus dem Amazonas-Bundesstaat Acre lernte sie Chico Mendes kennen und begeisterte sich für seine Bewegung. Bei den Bemühungen, Urwald und Uni-Welt in Einklang zu bringen, blieb letztere auf der Strecke.

Allegrettis Entschluß, im Urwald mit den Gummizapfern um bessere Lebensbedingungen zu kämpfen, war eine politische Entscheidung. „Die extreme Armut der Amazonasbevölkerung liegt nicht an dem nährstoffarmen Boden des Regenwaldes. Sie wird durch das wirtschaftliche System verursacht, das den Handel wertvoller Rohstoffe monopolisiert“, stellt die Umweltschützerin klar. Nicht die Kautschuk- und Paranußsammler, nur die Händler verdienten am Export der einheimischen Produkte.

Die Studentin mit dem marxistischen Gedankengerüst zog es vor, in den Urwald zu gehen, statt auf den Ausbruch der Revolution an der Universität zu warten. Sieben Jahre lang alphabetisierte sie Seringueiros und gründete zusammen mit Chico Mendes die Kooperative „Agro Extrativista Xapuri“, die heute Kastanien in die USA exportiert. 1985, als die brasilianische Militärdiktatur sich ihrem Ende zuneigte, organisierte sie den ersten Marsch der „ausgebeuteten Waldvölker“ in die Hauptstadt Brasilia, wo sich die Seringueiros zu einem nationalen Rat zusammenschlossen (CNS).

„Doch erst nach der Ermordung Chicos am 22. Dezember 1988 hob die Bewegung richtig ab“, erinnert sich Allegretti bitter. Der internationale Druck machte das Thema Umweltschutz salonfähig, die Rodungen und Abholzungen im Amazonasgebiet zum internationalen Skandal und die Konflikte zwischen Großgrundbesitzern sowie Gummizapfern und Indianern zum politischen Zankapfel.

Heute gibt es in Brasilien vier Reservate für Seringueiros, die im Rahmen des Pilotprogramms für den Amazonas mit insgesamt neun Millionen US-Dollar gefördert werden. Das von der Weltbank und den sieben größten Industrienationen (G 7) getragene Umweltschutzprogramm verfügt über Finanzmittel in Höhe von 250 Millionen Dollar. 19 Millionen Dollar davon sind allein den brasilianischen Nichtregierungsorganisationen (NGO) zugedacht.

Allegretti ist zur Zeit stellvertretende Vorsitzende des Beratergremiums, das die Verhandlungen zwischen den Vertretern der G-7-Staaten, Weltbank und der brasilianischen Regierung leitet. Doch selbst nach ihrem Aufstieg an die Spitze der internationalen Umweltbewegung hat die ehemalige Pfadfinderin ihren Abenteuergeist nicht verloren. Zu Beginn des nächsten Jahres will das IEA als erste brasilianische NGO einen internationalen Jugendaustausch organisieren. In der Urwaldsiedlung „Serra do navio“ im Bundesstaat Amapa treffen sich Freiwillige aus aller Welt zu einem „Workcamp“: Wohnhäuser bauen, Wiederaufforsten und Abfall recyceln. Wer mehr wissen will, kann sich direkt an das IEA (IEA, Bosque Gutierrez/ Memorial Chico Mendes/ Rua Gaspar Carrilho Junio s/n / 80010-210 Curitiba) wenden.