Die Zukunft Europas liegt in Wien

■ Am Sonntag abend werden sowohl die Europawahl als auch das Referendum in Österreich über den Beitritt zur Union ausgezählt. Während die Euro-Wahl auf Gleichgültigkeit stößt, wird das Referendumsergebnis..

Am Sonntag abend werden sowohl die Europawahl als auch das Referendum in Österreich über den Beitritt zur Union ausgezählt. Während die Euro-Wahl auf Gleichgültigkeit stößt, wird das Referendumsergebnis mit Spannung erwartet.

Die Zukunft Europas liegt in Wien

Briten, Iren, Holländer und Dänen haben es schon hinter sich. Bis Sonntag abend werden auch die anderen der rund 250 Millionen EU-Bürger zum dritten Mal ein gemeinsames Parlament wählen. Sie tun dies ohne Begeisterung – die Wahlbeteiligung in Holland und Dänemark lag bei rund 35 Prozent. Die wichtigste Entscheidung für die Zukunft der Europäischen Union fällt an diesem Wochenende sowieso außerhalb der EU.

Wenn die Österreicher am Sonntag njet zum Beitritt zur EU sagen, dann wird das auch die Volksbefragungen in Norwegen, Schweden und Finnland entsprechend beeinflussen. Das Votum der Österreicher wird Auswirkungen auf die Stimmung in den skandinavischen Ländern haben, wird das Vertrauen in die Gemeinschaft stärken oder die Angst vor dem Moloch Brüssel. Die Europäische Union kann auch ohne die vier Kandidatenländer weiterleben, aber sie wird dann auf absehbare Zeit keine Integrationsfortschritte mehr machen. Gescheiterte Referenden treffen die Europäische Union an ihrer schwächsten Stelle, am Vertrauen der Bevölkerung in den Sinn der Veranstaltung.

Eine Zustimmung der Österreicher wird der Europäischen Union dagegen mehr Auftrieb geben als ein wie auch immer geartetes Ergebnis in Straßburg. Eine Wahl, bei der die großen Parteien ihre kaum unterscheidbaren Programme mit der Formel kaschieren, das Entscheidende sei eine hohe Wahlbeteiligung, läßt befürchten, daß die Stimmabgabe keine großen Folgen haben wird. In der Tat regiert in Straßburg eine dauerhafte Große Koalition aus Sozialisten/Sozialdemokraten und Christlichen Volksparteien. Abgesehen von der weitgehenden Übereinstimmung der beiden Fraktionen in fast allen europapolitischen Fragen, brauchen sie sich gegenseitig schon allein aus arithmetischen Gründen.

Im Parlament entscheidet eine Große Koalition

Egal ob es um einen gewichtigen Änderungsantrag zu einem Gesetz des Ministerrates, um die Verabschiedung des Haushaltsentwurfes oder um die flammende Verurteilung des Stierkampfes in Spanien geht: Keine der beiden großen Fraktionen hat allein oder mit einer überschaubaren Zahl von Juniorpartnern die Chance, eine Mehrheit zu bekommen. Gemeinsam aber kamen die zwei Elefanten bisher stets recht locker auf über zwei Drittel der Sitze. Selbst bei Erdrutschverlusten: für die Mehrheit reicht's gemeinsam immer noch.

Der Zwang zum konservativ-sozialistischen Kompromiß verhindert, daß das Parlament mit Überraschungen aufwartet und beispielsweise die gesamte Kommission entläßt, was rechtlich zwar ebenso möglich wäre wie die Ablehnung von Großverträgen wie Maastricht, praktisch aber schon deshalb nicht vorkommt, weil unter den Kommissaren auch Sozialisten und Konservative sind.

Seit Maastricht gibt es für die Vertreter der Völker zwei Formen verschärfter Mitwirkung: Bei der sogenannten Kooperation kann sich der Ministerrat nur noch einstimmig über die Mehrheitsentscheidung des Parlamentes hinwegsetzen, bei der Kodezision muß notfalls sogar ein Vermittlungsausschuß einen Kompromiß suchen. Darauf sind die Abgeordneten besonders stolz, weil das sogar schon einmal vorkam und das Parlament den Ministerrat auf diesem Weg zu einer leichten Erhöhung des Forschungshaushaltes zwang.

Die meisten Abgeordneten nutzen das Europaparlament aber als das, was es hauptsächlich ist: eine Bühne für Öffentlichkeitsarbeit. Da treten dann die feinen Züge der unterschiedlichen Veranlagung zutage. So gibt es etwa die Langstreckenläufer, die sich irgendwann eines Themas angenommen haben und das bis zum Ende ihrer Laufzeit, oft über mehrere Legislaturperioden, verfolgen. Von der üblichen Parlamentsarbeit lassen sie sich nicht ablenken. Wenn sie reden, ob im Parlament, zu Journalisten oder beim hartnäckig erkämpften Gesprächstermin in der Kommission, dann immer zu ihrem Thema. Und wenn dann nach Jahren des Drohens, Drängens und Antichambrierens die Kommission tatsächlich ein EU-Institut beauftragt, Labortests mit Landminen zu machen, oder ein EU- Programm zur Rettung aussterbender Gemüsesorten startet, dann sind Lebenswerke vollbracht.

Im entschlossenen Sprint auf das Ziel des Tages

Oder die Sprinter, die ein mittleres Spektrum von Themen im Katalog haben und jeden Tag eines davon beackern. Im Parlament füllen sie die vorgeschriebenen Drei-Minuten-Statements mit Emotion und verschicken ihr Redemanuskript an Menschenrechtsorganisationen, Zeitungen und Tierschutzvereine. Sie prägen mit ihrer Arbeitswut, ihrem Einsatz und ihrer Rastlosigkeit das Bild des Parlaments, von dem sonst niemand so genau wüßte, ob das Hohe Haus gerade in Straßburg, in Brüssel oder im Zug sitzt. Ohne die Sprinter würde der Ministerrat noch mehr Richtlinien und Verordnungen unbemerkt beschließen.

Oder die Starter, die ständig losrennen, obwohl sie keine Ahnung haben, wo das Ziel sein soll. Sie sind verantwortlich für die Unzahl von Entschließungen, die ein auf zwei Handvoll Abgeordnete geschrumpftes Plenum am Abend ermattet verabschiedet und in denen die Kommission aufgefordert wird, die Reform der Bienenzucht in Indonesien zu verurteilen oder mit der Wahrheit über den Weinimport aus Kasachstan herauszurücken. Die meisten Starter bleiben für gewöhnliche Menschen unsichtbar, verschanzt in anonymen Bürowaben, von wo aus sie die Faxgeräte von Journalisten mit Anmerkungen zu Clintons Fernsehrede oder zur Papst-Audienz von Walesa beschießen.

Am unauffälligsten arbeitet die Spezies der Springer. Fünf lange Jahre haben sie sich aufgespart, haben Europa den Puls gefühlt, haben hingehört und nachgedacht, um jetzt, in den Tagen vor der Wahl, ins Feld zu springen und dem orientierungslosen Wähler eine europäische Perspektive aufzuzeigen. Wir brauchen sie nicht weiter vorzustellen, ihre Ergüsse liegen gebunden oder als Paperback auf den Wühltischen der Buchläden. Sie sagen uns alles. Alois Berger, Brüssel