piwik no script img

Ilse Stephan - als Frau im KZ

■ Überlebende des Schreckens-Lagers Bergen-Belzen gilt nicht als „Verfolgte“

Ilse Stephan ist heute 73 Jahre alt, die geborene Thüringerin lebt in Löningen. In der vergangenen Woche war sie zur Vorstellung des Buches „Frauen in Konzentrationslagern“ nach Bremen gekommen: Sie ist die einzige deutsche Überlebende aus den letzten Monaten in Bergen-Belzen, als dort tausende an Seuchen und Hunger verreckten.

Wer ist Ilse Stephan? Zu den biografischen Stichworten einer Frau gehört immer sofort die Frage nach den Kindern. Ilse Stephan macht auf diese Frage eine ruckartige bewegung, „ ... KZ...“ kommt aus ihrem Mund. Kinder - das ging nicht. Sie wollte wohl, hatte vier Fehlgeburten. Überhaupt hatte es nach der KZ-Zeit lange gedauert, bis die Regel wieder einsetzte. Bei den meisten Frauen im KZ setzten sie aus: psychischer Belastung, körperliche Überanstrengung, Unterernährung, der Körper macht nicht mehr mit.

Was KZ für Frauen bedeutet, hat eine Arbeitsgruppe der Uni Hannover in einem 350 Seiten starken Band zusammengetragen, der jetzt bei der Edition Temmen erschienen ist. „Lebens“-Bedingungen, Arbeitseinsätze und Häftlingshierarchie der KZ-Häftlinge werden in der Regel als Bedingungen für die männlichen Häftlinge beschrieben. Wie die Frauen erniedrigt, ihr Scham- und Körpergefühl zerstört wurde, das ist seltener Thema der Geschichtsschreibung. „Kahlgeschoren, geduscht, geprügelt, herumgepufft und in den gstreiften Anzug ohne Gürtel gezwängt, war man unkenntlich geworden“, schreibt die ins KZ verschleppte Französin Micheline Maurel. Einige der Frauen hatten sich vor dem Beginn des Transportes noch geschminkt... KZ-Häftling Fenia Fenelon notierte über den SS-Mann Tauber: „ ...ließ er abends um sechs Uhr tausend Frauen splitternackt in Schnee und Eis antreten. Dann ging er durch die Reihen und hielt mit seiner Reitpeitsche die Brust jeder Frau hoch. Schlaffte die Brust danach wieder ab, - nach links, was soviel bedeutete wie: ins Krematorium, blieb der Busen fest, - nach rechts.“ Eine andere KZ-Insassin: „... einige Zeit habe ich gefühlt, daß ich geschlechtslos bin.“

Das Buch über „Frauen im KZ“ thematisiert auch die Bordelle, die die Nazis für die männlichen Häftlinge einrichteten. Ilse Stephan war einmal für ein Bordell ausgesucht worden. „Ihr kommt in den Puff, ihr alten Nutten!“ hatte eine junge SS-Frau den Häftlingen erklärt. „Ich habe geheult und geheult und von der älteren, die dabei war, einen Tritt in den Hintern bekommen“, erinnert sich Ilse Stephan, „so daß ich aus der Tür rausflog. Ich bin abgezogen.“ Das war ihre Rettung: Der Frauen-Transport für das Bordell des KZ Nordhausen-Dora ging ohne sie ab, der Waggon wurde von einer Bombe getroffen - alle Frauen starben.

Die Lager-Prostitution war von den Nazis so gut organisiert wie die Vernichtung insgesamt. Die Frauen-Häftlinge in den Bordells mußten sich acht mal pro Abend hinlegen, sie erhielten als „Lohn“ für ihre Arbeit bessere Verpflegung. Margarete W. erinnert sich an die Auswahl: „Der Kommandant, Aufseherin Langerfeldt .. schritt unsere Horde ab. Sie guckte alle einzeln an. Dann wurden wir rausgesucht: Die und die und die Nummer vortreten! Na, wir sind vorgetreten... Wir mußten uns ausziehen, nackt. Schiedlausky, der Lagerarzt, war auch dabei. Sie haben uns gemustert und so weiter. Ich hörte, wie Schiedlausky sagte. Das Gerippe da wollen sie auch mitnehmen? Das war ich, denn ich war ja nur noch Haut und Knochen ... (sie war gerade wegen eines Kartoffel-Diebstahls mit dem Stock blutig geschlagen worden, d. Red.) Der fremde Kommandant sagte: Die ist gut gebaut, die füttern wir uns durch.“

Jahrelang hatte Ilse Stephan auch in der DDR - sie war nach der Befreiung durch die Engländer zu ihrer Familie in Thüringen zurückgegangen - nicht über ihre Erlebnisse sprechen können. „Daß das bei mir selber hochkommt“, hatte sie befürchtet. Im Block 213 hatte sie gelebt, „direkt gegenüber haben sie nur die Leichten herausgeschleppt“. Kinder, die auf dem Boden schlafen mußten und nachts von Ratten angefressen wurden - „Wenn ich mich da nur rein vertiefe, dann kommt es hoch...“ Die Frage, Wie hast du das verkraftet? kann die rüstige Frau 50 Jahre danach nicht mehr beantworten: „Das kann ich heute selber nicht begreifen.“ Bei der Befreiung hatte sie keine 80 Pfund mehr gewogen, „Wasser, Haut und Knochen.“ Die Engländer verteilten Brot und Wurst an die ausgemergelten Gestalten, als sie die Tore des KZ öffneten - viele schlangen das in sich hinein, und starben daran.

In der DDR blieb Ilse Stephan nach der Befreiung die Anerkennung als „Verfolgte des Naziregimes“ und die damit verbundene „Ehrenrente“ versagt. Denn die Nazis hatten sie unter der Kategorie „arbeitsscheu“ geführt. Ilse Stephan war offenbar auch den Verwaltern des Antifaschismus in der DDR zu unbequem. Als Postbotin, so erinnert sie sich, hatte sie regelmäßig einem Mann die „Ehrenrente“ von immerhin 1400 Mark zu bringen, von dem sie wußte, daß er im Krieg kein Opfer, sondern Vorarbeiter der Junker-Werke im Außenlager Langenstein des KZ Buchenwald gewesen war. Als sie sich darüber beschwerte, wurde ihr vorgehalten, sie habe einen verdienten Genossen beleidigt. Als sie ihn direkt ansprach, hatte er ihr erklärt, er sei Teilnehmer am Kapp-Putsches. War das nicht 1920 gewesen, lange vor der Zeit, auf die sich die Verfolgten-Rente bezieht? „Das müssen Sie nicht so eng sehen..“

Ilse Stephan will sich nicht damit abfinden, als „arbeitsscheu“ zu gelten. Sie hat deshalb nach dem Ende der DDR den Antrag gestellt, daß Bundesbehörden diese Entscheidung der der DDR-Behörden zu überprüfen. Ohne Erfolg: In der vergangenen Woche erhielt Ilse Stephan die Entscheidung des zuständigen Bonner Finanzministeriums zugestellt, daß „für Personen, die wir im vorliegenden Fall wegen ,Arbeitsverweigerung' inhaftiert waren“, die „Verfolgungsgründe“ des Entschädigungsgesetzes nicht zuträfen (vgl. unseren Bericht taz 11.6., S. 4) Denn die Nazis hatten Ilse Stephan für die Rüstungsindustrie requirieren wollen, ihr Vater lehnte das für seine 24jährige Tochter ab mit der Begründung, sie werde zuhause gebraucht - da waren 11 Kinder zu versorgen. Ilse Stephan ging arbeiten, arbeiten, arbeiten.

Der zuständige Referenz Oldenburg hat die Gründe, aus denen die Nazis Frau Stephan ins KZ gesteckt haben, überprüft und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß sie mit „arbeitsscheu“ korrekt kategorisiert wurde - jedenfalls nach den Maßstäben der Nazis. Und die sind für Entscheidung der Bundesrepublik Deutschland, wer als „Verfolgter des Naziregimes“ gilt und wer nicht, weiterhin bindend. Die bundesdeutsche Justiz hat eine Interpretation, nach der KZ-Opfer politisch Verfolgte waren, auch wenn die Nazis sie „nur“ als kriegsmüde Defaitisten oder Arbeitsverweigerer kategorisierten, mehrfach höchstrichterlich abgelehnt.

„Eine Klage von Frau Stephan gegen unsere Entscheidung vor dem Bundesgerichtshof wäre aussichtslos“, erklärte der Bonner Entschädigungsreferent Oldenburg Referent gegenüber der taz.

K. W.

Frauen in Konzentrationslagern (Bergen-Belzen, Ravensbrück) Edition Temmen, Bremen 1994

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen