Die Tastenrallye fordert ihre Opfer

Bildschirmarbeiter klagen über taube Finger und schmerzende Handgelenke / Ist es der Streß oder die Tastatur? / Arbeitsmediziner streiten noch über den Auslöser der neuen Krankheit RSI  ■ Von Jörg Zittlau

In Deutschland arbeiten etwa 15 Millionen Menschen in einem Büro, immer mehr von ihnen arbeiten an einem Bildschirmgerät. Der Computer hat die Arbeitswelt revolutioniert, doch seit seinem Einzug gibt es kritische Stimmen, die in ihm ein hohes Gesundheitsrisiko sehen. Er soll Augenbeschwerden auslösen wie Flimmern, Doppelbilder und Nachtblindheit, darüber hinaus Allergien, Ekzeme, Muskelverspannungen, Skeletterkrankungen, und in jüngerer Zeit ist sogar von Fehlbildungen in der Schwangerschaft die Rede, die durch schädliche Strahlen des Bildschirmes ausgelöst würden.

Die meisten Kritiken zielen gegen den Monitor, doch nun ist mit der Tastatur ein Teil des Computers in die Diskussion geraten, der gar nicht einmal typisch für ihn ist. Der Schlüsselbegriff der engagiert geführten Debatte: RSI (Repetitive Strain Injury), was nichts anderes heißt als „Verletzung nach wiederholter Belastung“.

„Entdeckt“ wurde RSI bereits in den achtziger Jahren in Australien und den Vereinigten Staaten. Ein Fünftel der Bildschirmarbeiter in Australien sollen betroffen sein, in den USA ist RSI mit 48 Prozent der am häufigsten registrierte Grund für die Anzeige einer am Arbeitsplatz entstandenen Gesundheitsstörung. Deutsche Wissenschaftler streiten hingegen noch, ob das RSI-Syndrom überhaupt als eigenständige Krankheit einzuschätzen sei. Die Befürworter halten es für „die kommende Zivilisationskrankheit schlechthin“, die Gegner sehen in ihm eine Chimäre, die „in keinen klinisch- pathologischen Zusammenhang paßt“. Allerdings kommen die Skeptiker meistens aus dem Lager der Berufsgenossenschaften, wo in Anbetracht der zu erwartenden Forderungswelle der betroffenen Patienten keine große Neigung besteht, RSI als Berufskrankheit anzuerkennen.

Der Psychologe Professor Hardo Sorgatz von der TH Darmstadt schätzt, daß etwa 15 bis 20 Prozent der deutschen Computer- Bediener an den Symptomen von RSI leiden: taube Finger, schmerzende Unterarmsehnen und Handgelenke, die in manchen Fällen sogar alltägliche Handlungen wie das Zähneputzen zur Tortur werden lassen. Bislang ist es allerdings nicht gelungen, per Röntgendiagnostik irgendwelche Gewebeschäden bei den Patienten nachzuweisen. „Doch beim Muskelkater hat es auch Jahrzehnte gedauert“, so Sorgatz, „bis man die mikroskopischen Muskelrisse als Ursache gefunden hatte.“ In jedem Falle sei RSI weit davon entfernt, eine eingebildete Krankheit zu sein, denn sie befalle gerade die hochmotivierten Computer-Bediener, die keinerlei Gewinn von einer Krankheit oder Berufsunfähigkeit hätten.

RSI trifft vor allem diejenigen unter den Bürokräften, die viel und schnell, meistens unter Druck, schreiben müssen – schneller als 300 Anschläge die Minute. Sorgatz: „Gefährdet sind Sekretärinnen und Schreibkräfte, aber auch Personen, die ihre Gedanken direkt in die Tastatur eingeben wie Systemprogrammierer und Redakteure bei Zeitungen.“ Eine große Rolle spielen tägliche Bürostressoren wie Hektik, Überforderung, Bewegungsmangel und Konflikte mit den Kollegen, die ja von den Psychosomatikern schon vor längerer Zeit als Schmerzverstärker ausgemacht wurden.

Doch es ist nicht nur das Arbeitstempo, das die Entstehung von RSI begünstigt, sondern auch der unzweckmäßige und überholte Aufbau der gängigen Computertastatur. Die Kritik der Arbeitsmediziner richtet sich hier vor allem gegen die traditionelle Buchstabenbelegung der Tasten, das sogenannte QWERT-System. Es wurde vor 120 Jahren eingeführt, als die Firma Remington in den USA die erste Schreibmaschine auf den Markt brachte – und seitdem ist die Anordnung der Tasten unverändert geblieben.

Die Absicht seiner damaligen Erfinder war es, die Verkeilung und das Verhaken der Typenhebel zu verhindern. Also wurden die häufig aufeinanderfolgenden Buchstaben wie N und E oder A und M auf der Tastatur möglichst weit auseinandergelegt. Das hatte mit den damaligen mechanischen Erwägungen durchaus einen Sinn, doch medizinisch gesehen hat das QWERT-Layout den Haken, daß die Hände und Finger des Benutzers unphysiologisch belastet werden. Starke Finger wie der Daumen werden unterfordert, während der eher schwache, kleine Finger der linken Hand übermäßig häufig beansprucht wird.

Durch die heutigen Laserstrahldrucker, in denen sich keinerlei Typen mehr verhaken können, ist die DIN-Tastatur eigentlich überflüssig geworden. Das Fraunhofer- Institut hat auch schon ein dreiteiliges Keyboard entworfen, bei dem die Handgelenke in der Achse zum Unterarm bleiben können und auch die Finger gleichmäßig belastet werden. Eine süddeutsche Firma bemüht sich um den Vertrieb der neuen „Lambda- Form“, doch sie hat sich auf dem Markt bislang nicht durchsetzen können.

Darüber hinaus dürfte die Umstellung der Tastatur allein wohl nicht ausreichen, der anstehenden RSI-Epidemie Herr zu werden. Sorgatz fordert außerdem eine Beschränkung der täglichen Bildschirmarbeit auf drei bis fünf Stunden, wie es bereits in den USA üblich ist. Ratsam sei auch „eine Rhythmisierung des Arbeitsablaufes durch schnell aufeinanderfolgende Bewegungs- und Denkpausen bei totem Bildschirm, in denen jeweils nur gedacht oder geschrieben wird“. Was freilich schwer durchzusetzen sein wird, insofern die Arbeitgeber traditionell allergisch reagieren, wenn sie das Wort Pause hören. Doch möglicherweise kann man sie ja davon überzeugen, daß ein gesunder Mitarbeiter doch kostengünstiger ist als ein kranker, der mit seinen Fingern den Krankengymnasten aufsuchen muß.