Die Heimkehr aus dem Exil

Seit 1935 gibt es in den neuen Ländern zum ersten Mal wieder Burschenschaften / In Jena kehrte am Wochenende die Verbindung Arminia zurück  ■ Aus Jena Annette Rogalla

Einzug der Chargierten: In schwarzer Galauniform, der „Samtpekesche“, und mit weißen Stulpenhandschuhen ziehen die Auserwählten in die Aula der Universität Jena. Allen voran der Sprecher der Burschenschaft „Arminia auf dem Burgkeller“. Auf einem schwarzen Samtkissen trägt er das Schwert der Verbindung, drei Mitbrüder und die rote Wartburgfahne eskortieren ihn. In langsamen, abgezirkelten Schritten durchschreiten sie den Raum.

Beim kurzen Gruß hinüber zu den Ehrenmitgliedern in der ersten Reihe wippen die schwarz- weißen Federn auf dem Samtbarett. Die vier Burschen besteigen das Podium. Vorsichtig gleitet das Schwert auf die schwarz-rot-goldene Fahne, die auf dem kleinen Altar ausgebreitet ist. Strammgestanden, Augen geradeaus – wie Wachsoldaten nehmen sie Aufstellung. Die geladenen Gäste klatschen und stimmen ein Lied an: „Sind wir vereint zur guten Stunde, wir starker deutscher Männerchor, so dringt aus jedem frohen Munde die Seele zum Gebet hervor.“ Der Festakt hat begonnen.

Einigkeit und Recht und Deutschtum

Bis auf den letzten der 500 Plätze ist das Auditorium Maximum gefüllt. Alte Herren mit Band und Mütze, die Gattinnen in feinem Tuch, junge Korporierte mit ihren Begleiterinnen sind am vergangenen Freitag gekommen, Rektor, Oberbürgermeister, selbst der Bundeskanzler hat einen Parlamentarischen Staatssekretär entsandt. Vor 179 Jahren, fast auf den Tag genau, gründete sich hier, in Jenas Gaststätte „Grüne Tanne“, die erste deutsche Burschenschaft.

Heute wird die „Grüne Tanne“, wiedereröffnet. Sie war seit 1935, seit der Selbstauflösung der Burschenschaften, geschlossen. Alte Herren aus vielen der 149 Korporationen haben Geld für den Wiederaufbau gesammelt, 3,5 Millionen Mark. In der DDR waren Burschenschaften verboten, die Burschen der Verbindung „Arminia auf dem Burgkeller“ bezogen in Mainz Quartier. „Unsere Exilzeit“, sagen sie heute dazu. Nach der Wende verkauften sie dort ihr Haus und bauten in Jena neu. Acht Burschen zählen sie schon. Ihre Leitbilder von „Ehre, Treue, Freundschaft, Vaterland“ versprechen Halt in einer Zeit der Orientierungslosigkeit an den Universitäten des Ostens. Und auch in Jena hausieren sie mit der Legende der doppelten Verfolgung durch Nationalsozialisten und SED-Herrscher.

In der Aula der Uni ertönt es vielstimmig in allen gebrochenen Stimmlagen: „Heraus zum mut‘gen Sang, als wär' es auch zum letzten Gang!“ – „Silencium!“ Der Vorsitzende der Altherrenschaft der Arminen, Aloyse Gombauldt, dankt „Gott dafür, daß er uns die deutsche Einheit wiedergeschenkt hat“. Er sieht sich in der Tradition von 1815, als die Burschenschaften, geprägt vom Kampf gegen Napoleon, sich die nationale Einheit auf ihre Fahne schrieben, den Zusammenschluß der unzähligen Kleinstaaten. In der entscheidenden „Völkerschlacht von Leipzig“ ritten im „Lützower Freikorps“ auch Studenten der Universität Jena. Die schwarz-rot-goldenen Farben der Burschen wurden die Nationalfarben. Symbol für Einheit und Freiheit Deutschlands. Der Alte Herr blüht im Glanze dieses Glückes: „Wir sind die legitimen Nachfolger dieser Urburschen, hohe Festversammlung“, ruft er in den Saal. Wochentags ist er Ministerialrat bei einer Tochtergesellschaft der Bundesbahn, heute übt er sich als Festredner in der Sprache des Außenpolitikers, der weiß, daß Deutschland „groß geworden ist und handeln muß“. Der von Kanzler Kohl entsandte Parlamentarische Staatssekretär Norbert Lammert beschwört die „Grüne Tanne“ als einen Ort der „Erneuerung der politischen Orientierung, auf den Prinzipien von Recht und Freiheit“, und bedankt sich, daß die Burschen „uns so ins 21. Jahrhundert führen“. „Stoßt an! Vaterland lebe! Hurra hoch!“ singen alle frohgestimmt.

Die Burschenschaften treten ihre Rückkehr an die Hochschulen der ehemaligen DDR mit gestärktem Selbstbewußtsein an. Nur knapp zwei Wochen, nachdem am 12. März 1991 die Karl-Marx-Universität in Universität Leipzig umbenannt wurde, fochten sie wieder scharfe Mensuren, in Jena gar schon ein Jahr früher. „Der erste Pauktag in Jena war ein erfrischender Beweis für waffenstudentischen Wagemut“, stellte seinerzeit der eigens aus dem Westen angereiste Alte Herr Alfred Thulla befriedigt fest.

In der Aula der Universität Jena beendet der Vorsitzende der Alten Herren das Hochamt nach geschlagenen anderthalb Stunden mit einem letzten Schwur („Wir geloben, daß wir den Weg der Urburschen weitergehen wollen.“) und dem Lied von Einigkeit und Recht und Freiheit – „die dritte Strophe bitte!“ Die Chargierten grüßen militärisch, die Korpsbrüder pressen die Mützen ans Herz, manch Auge liegt tief im Wasser.

Vor dem Festakt hatte der Studentenrat zu einer Podiumsdiskussion in den „Rosenkeller“ gebeten. In der verräucherten Katakombe haben sich am Mittag etwa 150 Studenten und Studentinnen auf Holzbänke gequetscht. Aloyse Gombauldt und Bursche Florian Asche von der Verbindung Hamburger „Germania“, deren Adresse dem dortigen Verfassungsschutz auch als Tagungsort rechtsextremer Gruppen bekannt ist, beteuern ihre „demokratische Grundlage“. Ob sie einen afrikanischen Studenten aufnehmen würden? Asche kann sich „nicht vorstellen, daß er das will“. Auch eine Antwort. In den zwanziger Jahren zählten Burschenschaften zu den erbittertsten Gegnern der Republik. Korpsstudenten beteiligten sich am Kapp-Putsch 1920 und an Hitlers Marsch auf die Feldherrenhalle 1923. Im gleichen Jahr beschloß ihr Dachverband, die Deutsche Burschenschaft, keine Juden mehr aufzunehmen. Wie verhalten sich die Korporationen heute zu ihrer unrühmlichen Historie? Florian Asche, 25 Jahre alt, schütteres Haar, im blauweißgestreiften Hemd der Juristen mit Siegelring am Finger, bleibt hanseatisch gelassen: „Wir haben auch ,Schindlers Liste‘ gesehen, da bricht jeder in die Knie. Herrje, das ist alles furchtbar gewesen. Aber ... ich bin anders. Und natürlich lesen wir die Namen der Herren Kaltenbrunner und Ley nicht gerne in unseren alten Mitgliedbüchern. Aber Breitscheid von der SPD war auch Burschenschafter.“

Am späteren Nachmittag geht man im Hof der „Grünen Tanne“ bei Bier und Würstchen zum gemütlichen Teil über: „Ich bin sehr stolz, diesen Schlüssel zu unserem Haus den jungen Burschen übergeben zu können. Prost, Brüder!“ Aloyse Gombauldt hebt seinen Krug. Vertreter aus anderen Burschenschaften übermitteln Grußworte: „Es grüßt euch die Burschenschaft Germania. Frisch auf, ihr Brüder der Arminen. Euer Haus wird zu einem gesamtdeutschen Monument!“ Bierselig schwankend überreicht ein Alter Herr der Germania mit blauer Mütze Gastgeschenke: ein Kuperstich der „Grünen Tanne“ und ein Liederbuch. Den Arminen-Brüdern in Jena wird es an nichts mangeln: Im Erdgeschoß wird eine Kneipe eröffnen, auf den darüber liegenden zwei Etagen findet das Burschenleben statt. An ihrer „Kneipentafel“ werden sie sitzen und Bierkrüge, „Salamander“, leeren. Unter'm Dach werden sie ihre Studentenbuden mit Parkettfußböden beziehen.

Mit Schärpe und Mütze durch die Stadt

Was treibt einen jungen Mann, in der DDR aufgewachsen, dazu, sich den Ritualen einer antiquierten „Kampftruppe“ zu unterwerfen? „Oh, es ist ein Kribbeln im Bauch, wenn ich mit Schärpe und Mütze durch die Stadt laufe“, sagt Tobias Irner, der beim Festakt in der Aula die Fahne eskortieren durfte. Seit vier Monaten ist der 21jährige ein „Fuchs“. Bei einem festlichen Abendessen wurde er von den Arminia-Burschen „aktiviert“. Dann mußte er das komplizierte Regelwerk der männlichen Verbindungswelt lernen. Auf „Conventen“, Versammlungen, während des Mensurschlagens und beim gemeinsamen Sport sollen „Fähigkeiten und Fertigkeiten trainiert werden, die der Vorstellung einer geistigen Elite entgegenkommen“, heißt es im Regelwerk der Korporierten. Vier Semester lang gilt Tobias als Aktiver, um dann von diesen Verpflichtungen bis zum Studienabschluß entlastet zu werden. Anschließend ist er ein Alter Herr, der seinerseits dafür zu sorgen hat, daß das Lebensbundprinzip weitergeht, dieses System der institutionalisierten Freundschaft auf Lebenszeit. Bei seiner Aktivierung hat Tobias ein Gelübde abgelegt: er hat versprochen, seinen Brüdern auf ewig die Treue zu halten, für den Bund einzustehen und ihn zu unterstützen.

Ein Generationenvertrag mit eingebautem Turbo für die Karriereleiter. „Einem Berufsbewerber, der Verbindungsstudent ist, bringt man natürlich beim Vorstellungsgespräch mehr Vertrauen entgegen“, sagt Johann Herminghausen, pensionierter Direktor des Sozialgerichts Hannover. Er befindet sich in rechter Gesellschaft. Zu ihr zählen Walter Wallmann, einst hessischer Ministerpräsident, Bundesinnenminister Manfred Kanther und Botho Prinz zu Sayn- Wittgenstein, DRK-Präsident genauso wie Manager bei Hoesch, IBM oder den Großbanken. Motto der kooperierenden Korporierten: „Können ist gut, kennen ist besser.“

Bei der Bevölkerung von Jena sind die Burschen gut gelitten. „Die Leute grüßen freundlich, wenn ich mit Mütze und Band durch die Stadt gehe“, sagt Gunnar Seidel. In Jena absolviert der Wiesbadener Zahnarzt sein Zusatzstudium als Oralchirurg. Vor allem ältere Jenenser mögen die jungen Männer, die sich Freundschaft auf Lebenszeit, Bildung und Benimm auf die Fahne geschrieben haben. Pünktlich zur Einweihung der neuen „Grüne Tanne“ hat der örtliche Münzhändler eine „Arminia- Münze“ prägen lassen, ein Buchhändler lieferte die Couleur-Ausstattung (Garderobe, Band und Mütze), und Oberbürgermeister Röllinger (FDP) ließ sich in den Stiftungsrat der Burschen wählen.

Mensur auf dem Dachboden

Im Hof der „Tanne“ ist es spät geworden. Festvater Gombauldt nutzt die Stunde zur Bekanntgabe einer „Pauke“ – einer Mensurfechterei. Morgen, Samstag, 15 Uhr, auf dem Dachboden der „Grünen Tanne“. Die Chargierten werden mit von der Partie sein. Statt Samtpekesche und Handschuhen tragen sie Stahlbrille und Nasenschutz. Sie werden mit ihrem Schläger, einer Art Degen, Hiebe austeilen. Wenn der junge Tobias Irner die erste von zwei Pflichtmensuren ficht, werden die Alten Herrn hinter ihm stehen. Und Tobias wird seine Angst überwinden und ihnen zeigen, daß er für den Generationenvertrag von gestern bereit ist zu kämpfen.