„Schulte darf nicht DGB-Chef werden!“

Geheimpapier, verfaßt bei der Hoesch-Krupp-Fusion, setzt Vetorecht der Stahlarbeiter außer Kraft / Der designierte DGB-Vorsitzende Schulte war 1992 Mitunterzeichner des Papiers  ■ Von Walter Jakobs

Düsseldorf (taz) – Die Stahlkocher der Dortmunder Hoesch- Krupp-Werke fühlen sich „verraten und verkauft“ – und das von den eigenen Leuten. Im Zentrum der Kritik steht der designierte DGB-Vorsitzende Dieter Schulte, der beim DGB-Kongreß in dieser Woche zum neuen Chef gekürt werden soll. Schulte, bisher im IG- Metall-Vorstand für den Stahlbereich zuständig, wird vorgeworfen, hinter dem Rücken der Belegschaftsvertreter von Krupp- Hoesch einem „Geheimpapier“ des Vorstandsvorsitzenden der Krupp-Hoesch AG, Gerhard Cromme, zugestimmt zu haben, mit dem die öffentlich versprochenen Mitbestimmungsrechte im fusionierten Konzern ausgehebelt werden.

Im Rahmen der Fusionsverhandlungen hatte Cromme im September 1992 mit der IG-Metall und den Betriebsräten von Hoesch und Krupp ein sogenanntes „Eckpunktepapier“ vereinbart, das dazu diente, die Mitbestimmungsrechte in dem neuen Mammutkonzern über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus vertraglich zu sichern. Die Vereinbarung sieht vor, daß auch dem Vorstand des Gesamtkonzerns – also nicht nur dem Vorstand der paritätisch mitbestimmten Stahl AG – ein Arbeitsdirektor angehört, der von der Kapitalseite „nicht gegen die Stimmen“ der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat berufen werden darf.

Mit dem Segen der Arbeitnehmervertreter amtiert derzeit der von Hoesch kommende Alfred Heese als Arbeitsdirektor im fusionierten Krupp-Hoesch-Konzernvorstand. Aus Altersgründen scheidet Heese am 30.6. dieses Jahres aus. Konzernchef Cromme will nun die Gunst der Stunde zur Verkleinerung des Vorstands nutzen. Heeses Job soll Konzernvorstandsmitglied Rossberg, bisher unter anderem für die leitenden Angestellten zuständig, gleich mitübernehmen. Mit diesem Coup verstößt Cromme zweifelsfrei gegen den Geist und den Wortlaut des 1992 unterzeichneten „Eckpunktepapiers“.

Durchkommen könnte er damit dennoch, weil in einem von Dieter Schulte, Siegfried Bleicher (IGM- Vorstand) und dem verstorbenen DGB-Vorsitzenden Heinz Werner Meyer unterzeichneten „Geheimpapier“ das öffentlich verkündete Verhandlungsergebnis nach Einschätzung der Dortmunder Betriebsräte unterlaufen wird.

Von der Existenz des geheimnisvollen Papiers wissen die Betriebsräte seit gut vier Wochen. Nach langem Drängen durfte der Dortmunder Betriebsratsvorsitzende Werner Naß das Schriftstück in der vergangenen Woche einsehen. Dabei traute Naß seinen Augen nicht. Nach den Worten von Hans-Otto Wolf, Geschäftsführer des Dortmunder Krupp- Hoesch-Betriebsrates, läuft die geheime Vereinbarung darauf hinaus, daß im Konfliktfall – wenn sich Kapital- und Arbeitnehmervertreter über die Berufung des Arbeitsdirektors nicht einigen können – allein die gesetzlichen Bestimmungen gelten. Die sehen das öffentlich seinerzeit als Verhandlungserfolg gefeierte Vetorecht für die Arbeitnehmer indes nicht vor. Der „für uns völlig unakzeptable“ (Wolf) Cromme-Kandidat könnte demnach durchkommen.

Kein Wunder, daß die Dortmunder Stahlarbeiter vor Wut kochen. Durch das von der IG-Metall-Führung am Wochenende immer noch unter Verschluß gehaltene Geheimpapier fühlen sie sich „hintergangen“. In einer von der Dortmunder Belegschaf am Freitag verabschiedeten Resolution heißt es wörtlich: „Wer mit Geheimpapieren zum Schaden der Belegschaften agiert, darf nicht Vorsitzender des DGB werden.“ Schulte und Bleicher müßten von allen gewerkschaftlichen Ämtern zurücktreten, „die mit Stahl im Zusammenhang stehen“.

Die IG-Metallzentrale hält diese Forderungen für „weit überspannt“. Sie spricht von einem „Riesen-Mißverständnis“. Es gebe keine Geheimpapiere, sondern nur einen Briefwechsel – „reine Routinesache“ – nach einem Vertrag. Der Sprecher des für den Stahlbereich zuständigen IG-Metallzweigbüros in Düsseldorf bezeichnete den vermeintlichen Briefwechsel gegenüber dem WDR dagegen als ein von den Gewerkschaftsführern gegengezeichnetes „nichtveröffentlichtes Gesprächsprotokoll“. Was darin steht, verrieten die dünnen Dementis aus der Vorstandsetage indes nicht.

Am vergangenen Freitag trafen Dieter Schulte und Gerhard Cromme in Essen zu einem Krisengespräch zusammen – Ergebnis unbekannt. Die Situation ist brisant. „Wenn es entsprechend der vereinbarten Eckpunkte einen von der IG-Metall vorgeschlagenen Arbeitsdirektor in der Konzernobergesellschaft gibt, sind wir gern bereit, uns öffentlich für die Vorwürfe gegen die Kollegen zu entschuldigen“, sagt Betriebsrat Wolf. Wenn nicht, dann dürfte es auf dem DGB-Kongreß eng werden für Schulte. Dann bleiben die Stahlkocher bei ihren Forderungen, dann darf Schulte ihrer Meinung nach nicht DGB-Chef werden. Betriebsrat Rüdiger Raguse: „Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit gegenüber den Belegschaften.“