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■ Österreich für EU-BeitrittRaus aus der Nische

Die staatliche Existenz bleibt unangetastet. Auch als Mitglied der Europäischen Union behält Österreich seine Regierung, seine Staatsgrenzen und eine bestenfalls etwas beschränktere Oberherrschaft über eigenes Territorium. Doch das überwältigende Votum für einen Beitritt zur EU beschreibt mehr als eine rein pragmatische Mehrheitsentscheidung: Die „österreichische Idee“ ist tot, die „Identität“, die dieses sonderbare Völkchen in den vergangenen 40 Jahren mühsam zur „Nation“ wachsen ließ, hat einen bemerkenswerten Wandel erfahren.

Denn seit 1955, als mit dem Staatsvertrag die Souveränität des bis dahin besetzten Landes wiederhergestellt und die „immerwährende Neutralität“ zur raison d'être der Wiener Politik erhoben wurde, galt die weltpolitische Nische den Österreichern als konsequente Heimstatt. Das päpstliche Diktum von der „Insel der Seligen“ wurde in den siebziger Jahren nicht zufällig höchst populär.

Nur wer ein Gefühl dafür hat, wie tief sich dieses „Mir san mir, die Welt ist woanders“ in die kollektive Seele eingebrannt hat, der kann ermessen, wieviel Überwindung es für die Österreicher bedeutet haben muß, binnen weniger Monate mit all dem zu brechen und das Tor zur Europäischen Union aufzustoßen. Daß der neuentdeckte Österreich-Patriotismus des einstmals deutschtümelnden Jörg Haider, daß die Angstkampagne seiner FPÖ – die von den „Grünen“ noch unterstützt wurde – so überhaupt nicht verfing, überraschte gestern jeden in Wien. Österreichs Bundeskanzler Franz Vranitzky wird jetzt wohl nicht zögern, weitere Schritte aus der Nische zu machen. Nach dem Beitritt zur Brüsseler Gemeinschaft steht nun eine Teilnahme am Nato-Programm „Partnership for Peace“ als nächstes auf seinem Terminkalender.

Österreich definiert sich nun also nicht mehr als sonderbarer Volksstamm, dessen Identität darin besteht, Distanz zu allen möglichen Mächten zu halten. Als was aber dann? Das ist jetzt die Frage der Stunde: Denn ein neues Selbstverständnis ist mit dem Votum vom Sonntag längst nicht entstanden. Robert Misik

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