Polen: Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes

■ Kurz vor den Kommunalwahlen beschließt der polnische Sejm mit deutlicher Mehrheit, die soziale Indikation wiederzuzulassen / Lech Walesa kündigt Veto an / Vatika-Kommission für Geburten...

Warschau (taz) – Polens Parlament hat am Freitag abend die soziale Indikation erneut in das Abtreibungsgesetz des Landes aufgenommen. Frauen können danach in den ersten drei Monaten nicht nur wie bisher nach Vergewaltigungen, bei Gefahr für ihre Gesundheit oder einer schweren Behinderung des Fötus abtreiben, sondern auch dann, wenn sie sich in einer sozial oder persönlich schwierigen Lage befinden. Abtreibungen sind künftig auch in Privatpraxen möglich, allerdings frühestens drei Tage nach einer Beratung der Schwangeren durch einen anderen Arzt als denjenigen, der die Abtreibung vornehmen soll. Die entsprechende Novelle wurde mit einer Mehrheit von 241 zu 107 Stimmen bei 32 Enthaltungen mit den Stimmen der regierenden Sozialdemokraten, der sozialdemokratischen Union der Arbeit sowie von Abgeordenten der Bauernpartei angenommen. Gegen das Gesetz stimmten die Demokratische Union, die Konföderation Unabhängiges Polen sowie Abgeordnete der Bauernpartei.

Die Novelle erlaubt es insbesondere den Sozialdemokraten vor den Kommunalwahlen am 19. Juni noch einmal zu punkten, da allen Umfragen zufolge die Mehrheit der Polen gegen das vor 15 Monaten verabschiedete restriktive Abtreibungsgesetz ist. Praktische Auswirkungen wird die Novellierung allerdings in nächster Zeit nicht haben. Denn nach der erwarteten Zustimmung des Senats muß das Gesetz noch von Lech Walesa unterschrieben werden, der Präsident hat jedoch sein Veto bereits angekündigt. Dieses kann der Sejm nur mit Zweidrittelmehrheit überstimmen. Barbara Labuda, treibende Kraft der überparteilichen Frauenfraktion im Parlament gibt sich allerdings optimistisch: „Bei der Abstimmung haben zu den zwei Dritteln nur acht Stimmen gefehlt. Die kriegen wir auch noch.“ Für den Fall, daß die zwei Drittel nicht zusammenkommen, strebt sie die Durchführung eines Referendums an.

Vor und während der Abstimmung belagerten mehrere Dutzend katholischer Lebensschützer betend und Kirchenlieder singend das Parlamentsgebäude. Primas Glemp hat sich erwartungsgemäß bereits gegen die Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes ausgesprochen. K. Bachmann siehe Seite 10

Vatikan-Kommission für Geburtenkontrolle

Rom (dpa/taz) – Als erste vatikanische Einrichtung hat die Päpstliche Akademie der Wissenschaften in einer Studie vor den Folgen der Bevölkerungsexplosion gewarnt und eine globale Geburtenkontrolle als „unumgänglich“ bezeichnet. Das Dokument, das in Rom als „Sensation“ gewertet wird, soll vom Papst authorisiert worden sein.