This is Aurich calling

■ Englisch lernen per E-Mail in internationalen Datennetzen: Die Schüler sind plötzlich begeistert bei der Sache, Prof. Heike Rautenhaus weiß warum

Vor einiger Zeit lief in Niedersachsen ein bemerkenswerter Großversuch: 100 Schulen klinkten sich per Modem und Telefonleitung in das Datennetz „Campus 2000“ ein, und sogleich war der gute alte Englischunterricht nicht mehr wiederzuerkennen: Auricher Schüler kriegten an ihren Computern rote Ohren und tauschten mit den Kids in der Bronx täglich „E-Mails“, also elektronische Post aus (mehr dazu im Kasten), alles auf Englisch; ein paar Texaner wollten von der Emdener Partnerklasse wissen, wie das damals war im Faschismus, die Emdener machten unverzüglich Interviews mit ihren Großeltern, übersetzten sie und schickten sie postwendend nach Texas, und so ging es dahin. Jetzt liegen die Ergebnisse des Projektes vor: Die Oldenburger Anglistin Prof. Heike Rautenhaus hat mit ihren Studentinnen und Studenten den Lauf der Dinge verfolgt und hinterher eine Umfrage unter Lehrern und Schülern gemacht. Ihre Schlußfolgerung: Höchste Zeit, daß der „sterile Fremdsprachenunterricht“ belebt werde, und Computernetze eigneten sich ganz prächtig dafür, ja das Korrespondieren mittels E-Mail sei geradezu eine „neue Kulturtechnik“. Das wollte die taz genauer wissen.

Was finden Sie denn an diesem Hin und Her von Datenpost?

Prof. Heike Rautenhaus: Also wenn die Schule gegen das Fernsehen, diesen phantastischen Unterhalter, nicht gänzlich verlieren will, dann muß sie zusehen, daß sie ihre Schüler besser unterhält. Nehmen Sie nur mal die Texte in den Lehrbüchern: Die sind mindestens zehn Jahre alt und meistens, was die Themen betrifft, von ganz zeitloser Güte. Die Texte dagegen, die die Schüler über E-Mail kriegen, enthalten die wirkliche Gegenwartssprache, und es geht um aktuelle Probleme, von denen meistens beide Gesprächspartner zugleich betroffen sind.

Was waren denn so die Themen in diesem transatlantischen Datenverkehr?

Die haben über den Golfkrieg diskutiert, über Tote, in deren Bauch damals ein Baby am Leben erhalten wurde, übers Taschengeld, über die Vorstellung, die sie von den Amerikanern haben...

Ja? Was kam da raus?

Die sind einfach in die Stadt gegangen, haben ein paar Passanten interviewt und das Ergebnis, also lauter Stereotypen, in die USA geschickt. Dort drüben waren sie allerdings zum Teil ganz schön beleidigt, und es hat viel Hin und Her gegeben, bis das wieder ausgeräumt war. Das war für die Schüler eine ganz neue Erfahrung: Hoppla, wir können in Englisch also auch beleidigen. Wir können's aber auch wieder ausbügeln. Das lernt man natürlich in keinem Schulbuch.

Würde es nicht auch reichen, wenn man Brieffreundschaften organisiert?

Nein, weil da die zeitliche Verzögerung sehr lästig ist. Das Interesse der Schüler ist ja immer auch ein emotionales. Da kann man nicht zehn Tage auf Antwort warten. Per E-Mail hat man sie am nächsten Tag. Außerdem haben diese E-Mails den Vorteil, daß sie eine ziemlich öffentliche Form der Korrespondenz sind: Die Nachrichten sind sofort der ganzen Gruppe zugänglich. Das belebt die Diskussion. Und die Schüler arbeiten meist sowieso in Grüppchen an ihren Computern, da gibt es ja immer was zu besprechen und auszutüfteln, auch sprachlich. Da helfen die sich. Und sie tun es immer im Hinblick auf einen Partner, dem sie wirklich etwas mitteilen wollen. Das nur zu der Behauptung, der Computer treibe die Kinder in die Isolation.

Und hier durften sie einfach rumprobieren?

Ja. Es gibt allerdings auch Lehrer, die die Briefe erst abschicken lassen, wenn sie fehlerfrei sind. Wir haben aber beobachtet, daß im Lauf der Zeit die Lehrer ihr Verhältnis zum Schülerfehler überdacht haben. Die haben gelernt, daß es gar nicht so sehr drauf ankommt, ob ein Satz korrekt ist. Die Hauptsache ist, daß er funktioniert, daß er richtig ankommt. Und in dem Maß, in dem die Lehrer das einsehen, verlieren die Schüler die Angst, es könnte ihnen jede Kleinigkeit angekreidet werden.

Was kommt da für eine Sprache heraus?

Das Umgangsenglisch, wie es eben gesprochen wird. Die Lehrer, die sich diesen E-Mails aussetzen, verändern sich absolut: Sie müssen den Mut haben, sich einer Sprache auszusetzen, die sie selber nicht vollständig kennen. Da kommen ständig Neologismen dazu, Slang-Ausdrücke tauchen auf und verschwinden wieder; da bleibt oft nur die Möglichkeit, daß man per E-Mail zurückfragt, wie das denn nun gemeint war. Das heißt natürlich was. Die Lehrer sind's ja anders gewöhnt, nämlich daß morgen Seite 26, Übung 3 dran ist. Die haben es nicht gelernt, ihren Unterricht selber zu gestalten. Aber diejenigen, die mal richtig anfangen, die wollen meist nicht mehr zurück. Nebenbei: Die Tatsache, daß einem da wie von selber eine enorme Sammlung von englischen Texten anwächst, die auch schon alle bequem im Computer gespeichert sind, die macht es natürlich möglich, mit den Schülern so richtige Sprachforschung zu betreiben.

Ist die Technik denn schon so benutzerfreundlich, daß man einfach loslegen kann?

Für die Lehrer, die das alles nebenbei machen sollen, ist das schon eine Belastung. Es gibt aber auch schon Schulen, die das ganze technische Zeug den Schülern überlassen. Die kümmern sich drum, daß die neuesten Mails auf den Bildschirm kommen oder ausgedruckt werden, und die Lehrer konzentrieren sich auf das Erzieherische. Je vertrauter sie mit dieser Unterrichtsmethode sind, desto leichter fällt ihnen das.

Und was sagen die Schüler?

Die sind durchweg begeistert. Wir hatten da nur positive Rückmeldungen. Übrigens auch, was die Mädchen betrifft. Wir haben uns da eigens drum gekümmert und kaum einen Unterschied gefunden: Die Mädchen hatten weder mehr Schwierigkeiten noch weniger Freude daran. Ich muß aber auch sagen: Die Begeisterung einiger Schüler endet da, wo sie zurück ins alte Leistungssystem gesteckt werden. Und Schüler, die sich stark an Noten orientieren, sagen dann schon auch: Mit den E-Mails lernen wir ja nicht das, worauf es ankommt.

Wie wird das weitergehen?

Das kommt drauf an. Die 100 Freilizenzen, die „Campus 2000“ vergeben hat, sind jetzt ausgelaufen, und die meisten Schulen sagen, sie seien nicht imstande, die Kosten zu übernehmen. Weil sich das aber schon ziemlich rumgesprochen hat, erklären sich immer mehr Eltern bereit, dann eben privat diese 350 Mark oder was es kostet zusammenzulegen und vielleicht noch irgendwo einen Computer und ein Modem aufzutreiben. Ich denke, darüber müßte künftig jedes Klassenzimmer verfügen können; die Schüler müsse da ja jederzeit rankönnen. Fragen: Manfred Dworschak