Nachschlag

■ Ultimativer Vortrag von Friedrich Kittler in der HdK

Regelmäßig habe ich ein laues Gefühl im Magen, wenn ich mich auf den Weg zu irgendeinem Medientheoretiker mache. Nicht ohne Grund: Im Stall der hermeneutischen Wissenschaften groß geworden, gehöre ich schließlich zu all jenen, die die beliebteste Zielscheibe der Medientheorie abgeben. Der erklärte Anspruch ihres derzeit zweifellos wichtigsten Vordenkers Friedrich Kittler, seit kurzem Prof an der Humboldt-Uni, ist dabei auch nicht gerade zimperlich: Seit Jahren beschäftigt ihn nun schon die Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften.

Der Vortrag, den er am Montag zum Thema „Farben – und/ oder Maschinen denken“ an der Hochschule der Künste hielt, unterstrich einmal mehr, daß es ihm wirklich ernst damit ist. Denn seine These zu den letzten 200 Jahren Wissenschaftsgeschichte ist, daß es die Ingenieurwissenschaften im Laufe dieser Zeit endlich geschafft haben, sich jenseits der Geisteswissenschaften zu emanzipieren, und nun definitiv bestimmen, was wirklich ist. Frei nach Marx hat die Philosophie die Daten immer bloß interpretiert, nur die Ingenieure aber können sie verändern. Höhnisch zieht da ein schwäbischer Geist gegen die hermeneutische Idylle Alteuropas zu Felde und macht dabei ordentlich Wind. Viele Anekdoten werden erzählt, zum Beweis der These, daß es nicht die Menschen sind, die den Sinn der Maschinen definieren, sondern vielmehr umgekehrt die Maschinen uns Menschen produzieren. Ein paar Begründungen hätten eigentlich nicht gestört. Doch diese gehören ja ins Lager des Geistes und sind fehl am Platz, wenn es nur um Zahlen und Formeln geht.

All der mathematischen Nüchternheit zum Trotz, mit der hier von Gott und der Welt die Rede war, drängte sich mir am Ende für einen Moment die beunruhigende Frage auf, ob die Ersetzung der Kulturgeschichte durch eine Erzählung der Geschichte ihrer Technik nicht doch noch ein letztes Mal den Traum einer alles umspannenden Meta-Erzählung wahrmacht, von dem wir so nachmetaphysisch Gesonnenen uns doch endlich, wenngleich schweren Herzens, befreien wollten. Aber weil Kittler das Ganze wie immer so schön erzählt hat, wollte keiner mehr der ultimativen Abdankung der Dichter und Denker durch betuliche Nachfragen im Wege stehen. Und wer bei dem Rundumschlag gegen den Geist nicht alle Hiebe mitbekommen hatte, kann sich auch darauf verlassen, daß all das dort nochmals nachzulesen ist, wo es im Klartext steht: in Kittlers Vermächtnis. Andrea Kern