Handicap 47

■ Eine Einladung zum Golfen oder: Wie Medien-Journalisten neuerdings der Blick für das Wesentliche geschärft wird

Den perfidesten Bestechungsversuchen der Publicity-versessenen PR-Gilde begegnen Herr Krähe und ich inzwischen mit gelassener Routine. Ohne rot zu werden, lassen wir uns mittlerweile auf Pressekonferenzen Taschenventilatoren, Brahms-CDs und 5-Liter- Bierfäßchen zustecken; das ehrliche Staunen im Angesicht gewaltiger Buffetanlagen ist einem interessierten Kontrollblick gewichen, und bei der Einnahme der offerierten Alkoholika verstört uns nicht mal mehr die Anwesenheit von Maren Gilzer. Doch Anfang Juni verdoppelte die Gegenseite ihre subtilen Anstrengungen um positive Berichterstattung: Wie selbstverständlich lud uns die Softwarefirma Novell zum Golfturnier ein.

Golf! In Deutschland! Jung-dynamische Snobs, die in karierten Hosen zwischen Beckenbauer, Carpendale und Peter Bond auf dem Platz herumlümmeln und sich von Caddies Schläger und Aufbau- Riegel nachtragen lassen! Nie haben wir einen Gedanken daran verschwendet, diese unwerte Sportart auszuüben, und so verweigert Herr Krähe jetzt prompt die Turnierteilnahme. Zum Glück erklärt sich der italienische Sportjournalist Signor Solenato ob des avisierten Buffets bereit, mich zu begleiten.

Bei einem Vorbereitungsbier attestieren Solenato und ich uns gegenseitig die in der Einladung angesprochene Platzreife. Übrigens nicht ganz zu Unrecht: Der Italiener war schließlich 1988 Tischfußballmeister in Umbertide, Umbrien, während ich 1992 auf einer Hochzeit die Fürbitten vorgetragen habe, ohne zu lachen.

Bei den „Handicaps“, die wir dem Turnierveranstalter vorab angeben sollen, sind wir begreiflicherweise gezwungen, mit geschätzten Näherungswerten zu operieren. Nach reiflicher Abwägung einigen wir uns auf „Handicap 43“ für Solenato, der über das bessere Ballgefühl verfügt, und „Handicap 47“ für mich. Bescheiden beharren wir auf diesen Zahlen, als ein aufgebrachter PR- Mensch anruft und behauptet, diese Höhe sei zumindest ungewöhnlich, sämtliche männlichen Turnierteilnehmer hätten Handicaps zwischen 17 und 28.

Als wir am Sonntagmorgen am Empfang des „Berliner Golf und Country Club e.V.“ auflaufen, müssen wir feststellen, daß wir die einzigen Turnierspieler sind, die wie echte Golfer aussehen. Zusammengeliehene Baseball-Mützen, Polo-Hemden, 20er-Jahre-Westen, Gletscherbrillen und solides Schuhwerk geben uns nach Solenatos Meinung einen fast profihaften Touch, und allerorten bestätigen bewundernde Blicke sein Urteil. Was uns zudem wohltuend von der Konkurrenz abhebt, ist das lässige Fehlen der kompletten Ausrüstung. Aber auch diese Klippe wird gemeistert. „Große Güte! Die Eisen habe wir im Geschäft stehengelassen!“, bedeuten wir völlig wahrheitsgemäß der Dame von der Turnierleitung, welche uns daraufhin umgehend mit Clubschlägern versorgt. Als wir damit am zugewiesenen Loch 18 ankommen und uns gentlemanlike mit den Konkurrenten Jutta von Quadt (Handicap 36) und Dieter Höfler (28) bekanntmachen, eröffnet ein Kanonenschuß das Match.

Um es vorwegzunehmen: Weder Solenato noch ich hatten an diesem Tag eine reelle Chance, das Turnier zu gewinnen. Der windige Italiener nicht, weil er bereits kurz vor dem ersten Schlag ausschied (angeblich machte sich bereits beim Shakehands mit Frau von Quadt eine alte Zerrung bemerkbar), und ich nicht, weil wir ausgerechnet am 18. Loch starten mußten. Lag dieses doch genau vor der Terasse, von der aus der Club-Trainer interessierten Laien die Schlagtechnik der vorüberziehenden Spieler erklärte. Und nachdem Frau von Quadt souverän gedrivt und auch Herr Höfler seine Bälle reihenweise technisch korrekt in den nahegelegenen Tümpel gehauen hatte, konnte der erste Golfschlag meines Lebens diesen Kleingeist wohl nicht einmal ansatzweise überzeugen.

Laut Solenato, der gerade nebenan am Empfang seine Ausrüstung zurückgab, ertönte plötzlich ein aufgeregtes Rufen, dem zu entnehmen war, daß der Trainer meine Platzreife ganz grundsätzlich in Frage stellte. Indes: Als am nächsten Loch die Turnierleitung im Golfwagen anbrummte und mich brüsk aufforderte, das Spielen sofort einzustellen, lag ich nach einem beherzten 50-Meter-Paß in den freien Raum sogar in Führung.

Um die Form zu wahren, gaben Solenato und ich im Clubhaus an, das Turnier wegen Blitzgefahr abgebrochen zu haben (Golf-Regeln des Royal and Ancient Golf Club of St. Andrews, § 37, Punkt 6), und vertrieben uns die Zeit bis zum Essen mit ein wenig Fachgesimpel und der mehrfachen Bestellung: „Birdie, please; aber on the rocks.“

Soviel zum Thema „Einladungen zum Golfturnier“.

PR-Leute! Korrumpiert uns doch demnächst mal wieder mit CDs! Mir fehlen noch die Streichquartette Nr. 6 bis 8 von Schostakowisch! Martin Sonneborn