Black & white – Geschichten aus dem neuen Südafrika Von Bartl Grill

Wo waren wir letzte Woche stehengeblieben? Ach ja, irgendwo zwischen Signora Tagliattis Paßfotoschußanlage, dem 1.000-und- ein-Ding-Laden des Inders und dem äthiopischen Hauptgericht bei Ermano an der Louis Botha Avenue. Also mitten in Orange Grove, Johannesburg, unserem mulitkulturellen Viertel, wo alle Hautfarben so friedlich und gelassen nebeneinanderleben, als wäre es im Lande der Apartheid nie anders gewesen.

Allmählich ziehen immer mehr Schwarze zu, die sich aus dem Township Alexandra am Nordende der Louis Botha herausgearbeitet haben. Sie wohnen in den Häusern, die sich Weiße nicht mehr leisten können, weil sie auf der Konkurrenzleiter abgestürzt sind. Oder in sogenannten Townhouses, welche nicht mehr standesgemäß sind für Besserverdienende. Wer es zum Bluppie (black Yuppie) gebracht hat, kauft sich eine der feschen Villen, in denen bis gestern feige Hühner gewohnt haben. Chicken run nennt man nämlich das Phänomen der Auswanderung: Persilweiße, reiche Bürger hauen nach Neuseeland oder Amerika ab, weil sie Angst haben, daß ihnen die schwarze Kommunistenregierung allen Besitz wegnimmt. Die Swimmingpools müssen leider hierbleiben, weil die South African Airlines noch keine adäquate Luftfrachtverpackungstechnik entwickelt hat.

Wir bleiben an der Louis Botha, wo man merkt, daß Orange Grove in Afrika liegt. Die Geschäftssprachen der fliegenden Händler sind Zulu, Xhosa oder Tswana. Eine Frau verkauft an der Ecke 15th Street aus einer Schubkarre Maiskolben, Himbeerbonbons und stückweise Zigaretten. Vis-à-vis steht oft ein steinalter Xhosa, der immerzu grinst. Er schnitzt Kochlöffel und Rührbesen, die so langstielig sind, daß sie Gulliver aus dem Land der Riesen mitgebracht haben könnte. Mit derlei Gerätschaft wird im Township der Maisbrei angerührt. Beinahe hätten wir den Blumenverkäufer vergessen, den jungen Burschen, der neben seinem Stand so herzerfrischend tanzt, daß man die Rosen aus Soweto einfach kaufen muß. Buren, Hugenotten, Basotho, Kapmalaien, Farbige, Pakistani, Juden, Italiener – sie alle bevölkern Orange Grove und halten es mit dem Motto „Leben und leben lassen“. Auf der Straße tollen Kinder aller Volksgruppen, die Schule am Paterson Park steht schwarzen und weißen Kids offen. Nichts zu spüren von Rassenhaß, Gewaltakten oder Hinterfotzigkeiten – das andere, das neue Südafrika. Mittags nehmen wir ab und zu einen Campari bei Ermano. Da sitzen wir dann auf einem der Einheitsplastikgartenstühle, die es im ganzen Land gibt, und lassen den bunten, trägen Strom des Lebens an uns vorüberziehen. Paare, Passanten, gemischte Plaudergruppen. Der Rassenwahn ist vorbei. Die Menschen gehen neuerdings höflicher und heiterer miteinander um als im griesgrämigen Regenland BRD. Aber Deutschland will ja auch kein Einwanderungsland, keine Vielvölkergesellschaft sein, und Toleranz ist kein deutsches Wort.... Wir trauten unseren Augen kaum, als wir neulich einen jungen Weißen sahen, der eine alte, gebrechliche, schwarze Frau eingehakt über die Straße lotste. Einfach unglaublich! Orange Grove, new South Africa. Hier bleiben wir, herzliche Grüße nach Solingen!