Clintons Sozialhilfe nach neuem Muster

■ Gesetzentwurf vorgelegt / Unterstützung nur für zwei Jahre und mit Auflagen

Washington (taz) – Es war ein Wahlkampfslogan so ganz nach dem Geschmack der „neuen Demokraten“: „Wir schaffen die Sozialhilfe nach altem Muster ab“, hatte Bill Clinton immer wieder während seiner Präsidentschaftskampagne verkündet. Gestern präsentierte er nun seinen Entwurf zur Sozialhilfereform, die nicht nur den Betroffenen aus dem Teufelskreis von Armut, Arbeitslosigkeit und staatlicher Abhängigkeit, sondern auch der Demokratischen Partei des Präsidenten aus dem Stimmungstief vor den Kongreßwahlen im November helfen soll.

Clintons Reformvorschlag betrifft vor allem jene 14 Millionen Frauen und deren Kinder, die monatliche Unterstützung aus dem „Aid to Families with Dependent Children“-Programm, kurz AFDC genannt, beziehen. Der Dreh- und Angelpunkt des Entwurfs: SozialhilfeempfängerInnen werden verpflichtet, an Ausbildungs- und Trainingsprogrammen teilzunehmen. Wer nach zwei Jahren keinen Job im Privatsektor gefunden hat, dem wird ein staatlich subventionierte Arbeitsplatz zum gesetzlich festgelegten Mindestlohn von 4,25 Dollar pro Stunde zugewiesen. Wer bei Trainingsprogrammen und bei der Jobsuche keinen Kooperationswillen zeigt, verliert Anspruch auf staatliche Hilfe. Teenager-Mütter sollen gezwungen werden, weiter bei ihren Eltern zu wohnen und die Schule zu beenden. Betroffen sind in der ersten Phase alle SozialhilfeempfängerInnen, die jünger als 22 Jahre sind. Nach Schätzungen der Administration werden bis zum Jahr 2000 mindestens 400.000 in staatlichen Ausbildungs- und Vermittlungsprogrammen stecken.

Für die Finanzierung von Arbeitsplätzen, Ausbildungsprogrammen und Kinderbetreuung hat die Administration 9,3 Milliarden Dollar über einen Zeitraum von fünf Jahren veranschlagt — eine Summe, die nach Ansicht von KritikerInnen viel zu gering ist, um eine signifikante Zahl von SozialhilfeempfängerInnen wieder auf eigene Füße zu stellen. Das Geld wird durch Kürzungen in anderen Posten des Sozialbudgets aufgebracht. Vom Rotstift werden vor allem ImmigrantInnen sowie Drogen- und Alkoholabhängige betroffen sein. Zur Finanzierung seiner Sozialhilfereform die Steuern zu erhöhen wäre in den Augen der Administration in einem Kongreßwahljahr politischer Harakiri gewesen.

Im Kongreß zirkulieren unterdessen weitaus konservativere Gesetzentwürfe: Republikanische Abgeordnete fordern, Sozialhilfe an Mütter unter 21 Jahren einzustellen, um die „Anreize“ für Teenager zu senken, uneheliche Kinder zur Welt zu bringen. Auf die Frage, was mit den bereits existierenden Kindern junger alleinstehender Mütter geschehen soll, schlugen die Politiker die Unterbringung in Waisenhäusern vor — eine Idee, die von dem rechten und zunehmend populären Sozialtheoretiker Charles Murray in Umlauf gebracht worden ist.

Auch Clinton hat sich in den letzten Monaten immer häufiger des Reizthemas „Teenager- Schwangerschaften“ angenommen – mit der ihm eigenen Mischung aus konservativer und fortschrittlicher Politik und Rhetorik. Sein Gesetzentwurf sieht 400 Millionen Dollar für Aufklärung in Schulen vor. Väter, die ihre Alimente schuldig bleiben, müßten mit dem Entzug des Führerscheins rechnen. Gleichzeitig gibt der Präsident in seinem Gesetzentwurf den Einzelstaaten freie Hand, Frauen eine Erhöhung der Sozialhilfe zu verweigern, wenn sie zusätzliche Kinder zur Welt bringen.

Im Weißen Haus rühmt man sich nun, eine der „strengsten“ Sozialhilfereformen auf den Weg gebracht zu haben.

Doch KritikerInnen aus Frauenorganisationen sowie Sozialforscherinnen argumentieren, daß Clintons Gesetzentwurf am eigentlichen Problem vorbeigeht: Entgegen dem weit verbreiteten Klischee der kinderreichen, arbeitsunwilligen welfare mother schaffen es 70 Prozent aller Sozialhilfeempfängerinnen innerhalb von zwei Jahren, ohne staatliche Hilfe einen Job zu finden.

Das Problem ist: Aufgrund der Niedriglöhne, fehlender Krankenversicherung und der „Flexibilität“ des amerikanischen Arbeitsmarktes stehen viele nach kurzer Zeit wieder vor dem Sozialamt. Was sie brauchen, sind vor allem bezahlbare Kinderbetreuung und eine garantierte Krankenversicherung. Ersteres war im Clintonschen Reformplan vorgesehen, wurde jedoch aus Geldmangel drastisch zusammengekürzt. Letzteres wird derzeit im Kongreß blockiert. Andrea Böhm