■ Kann gesamtafrikanische Diplomatie die Krisen des Kontinents lösen? Ruanda verspricht zum Testfall zu werden. Ein erster Waffenstillstand ist in Kraft.
: Nicht auf den Norden warten

Kann gesamtafrikanische Diplomatie die Krisen des Kontinents lösen? Ruanda verspricht zum Testfall zu werden. Ein erster Waffenstillstand ist in Kraft.

Nicht auf den Norden warten

„Ein Skandal für die Afrikaner, für die Menschheit insgesamt“: Salim Ahmed Salim, Generalsekretär der „Organisation für Afrikanische Einheit“ (OAU), wählte gestern zum Abschluß des OAU- Staatengipfels in der tunesischen Hauptstadt Tunis starke Worte zum Krieg in Ruanda, der in zwei Monaten eine halbe Million Menschenleben gefordert haben soll. Seine schroffen Töne konnte sich Salim leisten: In der Nacht zuvor hatten am Rande der OAU-Tagung die Vertreter der ruandischen Regierung und der Guerillaorganisation RPF (Ruandische Patriotische Front) ein Waffenstillstandsabkommen geschlossen, das noch gestern formal unterzeichnet werden sollte.

In dem vor allem von Zaire, Tansania und Burundi vermittelten Abkommen, dessen Existenz von beiden ruandischen Kriegsparteien bestätigt wurde, werden nach Angaben des RPF-Delegationsleiters Pasteur Bizimungu die Einstellung der Kämpfe sowie die Freilassung aller in Kirchen und anderen Orten festgehaltenen Menschen zugesichert. Ferner solle, so Bizimungu, in den nächsten sieben Tagen unter tansanischem Vorsitz ein Gipfeltreffen der beider Kriegsparteien und jener Nachbarstaaten stattfinden, die schon an der Aushandlung des Friedensvertrages von Arusha 1993 beteiligt gewesen waren.

Das Abkommen kommt für viele Ruander gerade noch rechtzeitig – so es denn eingehalten wird: In Erwartung einer offiziellen Benachrichtigung setzten gestern Regierungstruppen und RPF-Einheiten in Kigali den gegenseitigen Beschuß noch fort. In den letzten Tagen waren Versuche der UNO, Zivilisten aus der ruandischen Hauptstadt zu evakuieren, immer wieder durch die regierungstreuen Milizen verhindert worden. Sie hatten UNO-Soldaten den Zutritt zu „ihren“ Vierteln verweigert und aus der Kirche der Heiligen Familie, in die sich mehrere tausend Zivilisten gerettet hatten, Angehörige des Tutsi-Volkes in Lastwagen zur Exekution abgeholt.

Es überrascht nicht, daß die derzeit siegreiche RPF eine Feuerpause begrüßt. Gedrängelt hat aber auch die OAU selbst, die in Tunis einen diplomatischen Erfolg dringend brauchte. Denn daß die OAU sich als Vermittlungsbeschleuniger einschaltet, ist für die panafrikanische Organisation ein lebenswichtiges Novum. Noch vor zwei Jahren, als diverse rivalisierende somalische Delegationen beim OAU-Gipfel in Dakar antichambrierten, kümmerten sich die OAU-Diplomaten lediglich um die protokollarische Seite des Konflikts. Diesmal war es wichtig, auch politisch aufzutreten.

Die OAU – deren Generalsekretär Salim und Sprecher Ibrahim Dagash beide aus dem Nachbarstaat Tansania kommen – wollte die Gelegenheit, Punkte zu machen, nicht den Unterstützern der einen oder anderen Seite überlassen: Die Nachbarn Zaire und Burundi als frankophone Stützen der ruandischen Regierung, Uganda und das Blauhelm-Entsendungsland Ghana als Fürsprecher der RPF. Zaires Präsident Mobutu hatte sich höchstpersönlich als Vermittler vorgedrängt und wollte am liebsten einen eigenen Ruanda-Gipfel einberufen. Südafrikas neuer Präsident Nelson Mandela, der Held des Gipfels, hatte den Krieg in Ruanda als „harte Mahnung an uns alle“ bezeichnet und gleichzeitig erklärt: „Wir haben es als Afrikaner in unserer Macht, all dies zu ändern. Wir müssen unseren Willen dazu durch Handeln bekräftigen“. OAU-Sprecher Dagash sprach schließlich eine offenbar fürchterliche Drohung aus: „Wir sind entschlossen, Tunis nicht ohne ein solides Ergebnis zu verlassen“, sagte er und ließ durchblicken, man habe der als offizielle Delegation anwesenden ruandischen Regierung den Rausschmiß angedroht, falls sie sich nicht direkt mit der nur als Beobachter anwesenden RPF einige.

Aber die OAU wird mehr machen müssen, soll der Eindruck, diesmal kümmere sich tatsächlich Afrika um die Lösung eines afrikanischen Konflikts, nicht so blitzartig verschwinden, wie er entstanden ist. Der für nächste Woche angekündigte Ruanda-Gipfel muß stattfinden und greifbare Ergebnisse zeitigen. Weiter müßte die auf dem Papier bereits zusammengesetzte, hauptsächlich aus Afrikanern bestehende nächste Ruanda- Blauhelmtruppe der UNO jetzt eigentlich schnellstens nach Kigali einfliegen können: Immerhin gibt es eine Waffenstillstandsvereinbarung. Noch sind da einige Probleme zu lösen, wie die Frage, ob die zum Transport vorgesehenen 50 südafrikanischen Panzerfahrzeuge von südafrikanischen Soldaten oder UNO-Blauhelmen gefahren werden sollen.

Zwar ist dafür, wie auch für das viel wesentlichere Problem der Einhaltung des Waffenstillstandes, weniger die OAU als die UNO zuständig – doch deren Ruanda-Beauftragter Jean-Jacques Booh- Booh, den die RPF der Parteinahme für die ruandische Regierung verdächtigt, hat am Wochenende seinen Rücktritt zum 1. Juli angekündigt.

Auch wenn damit das Mißtrauen der RPF gegen UNO-Blauhelme besänftigt werden könnte, erhebt sich gleich eine weitere delikate Krise: Zum 1. September soll Ruanda turnusgemäß den Vorsitz des UNO-Sicherheitsrats übernehmen; im UNO-Hauptquartier wird jetzt sondiert, ob nicht ein anderes afrikanisches Land dafür einspringen möchte. Aber die gesamtafrikanische Diplomatie steht erst am Anfang. In Tunis blieb es Simbabwes Präsident Robert Mugabe überlassen, daran zu erinnern, daß der 1992 in Dakar im Prinzip beschlossene und 1993 in Kairo verabschiedete OAU-Konfliktregelungsmechanismus – der im wesentlichen aus einem ständigen Verhandlungsteam an der Seite des OAU-Generalsekretärs bestehen soll – wegen Geldmangel noch immer nicht existiert. Dominic Johnson