Bedeutete der DDR-Sport Größe oder Ruin?

■ Bei der Alternativen Enquetekommission Zeitgeschichte trafen sich die Verantwortlichen des DDR-Sports / Das Wort Doping fiel erst fast am Ende

„DDR-Sport: nur Drill und Doping?“ Ein spannendes Thema, zu dem die PDS-nahe Alternative Enquetekommission Deutsche Zeitgeschichte gebeten hatte. Spannend vor allem, weil die geladenen Experten Insider waren – alle im DDR-Sport in Amt und Würden. Moderator Klaus Huhn, beispielsweise, war 44 Jahre lang Sportchef des Neuen Deutschland und in dieser Funktion der einzige Journalist, der, so plaudert es gerne aus seinen zahlreichen Werken, die Staatspräsidenten Ulbricht und Honecker beriet sowie den Westen bereiste, weil einen wie ihn die Mauer gar nicht einsperren mußte.

Spannend also. Doch was passierte in der Stadtbibliothek Stadtmitte? Knapp zwei Stunden dozierte die Veranstaltung vor sich hin, bis um 20.17 Uhr, 28 Minuten vor dem Schlußpfiff, das erste Mal das Rote-Tuch-Wort Doping fiel.

Zuvor strickten die Referenten (Sportwissenschaftler Wolfgang Helfritsch und Hans Simon, Versehrtensportler Detlef Eckert sowie Sportjournalist Volker Kluge) nach einem hinlänglich bekannten Muster ein Bild vom Sport der DDR, der in seiner Effizienz „einmalig“ gewesen und erst durch den Alleinvertretungsanspruch (Hallstein-Doktrin) des westlichen Nachbarn zur Politisierung gezwungen worden sei. Volker Kluge ärgerte sich über den „hanebüchenen Unsinn“, der über den DDR- Leistungssport verbreitet wird. Und die beiden Akademiker für derart elementare Dinge wie eine neue DDR-Sportgeschichtsschreibung, in der nicht „die Fakten entscheiden, sondern die Vorstellungen, die sich Menschen von den Fakten machen“ (Simon), plädierten für die Talentefindung als „System, das einmalig ist in der Welt“.

Für die wichtigen Fragen dieses Abends waren die Herren auf dem Podium indes nicht zuständig. Hohe Amtsträger vergangener Tage saßen unter den etwa 50 ZuhörerInnen. Und wurden – wo man sich doch unter Wohlgesonnenen seinesgleichen wähnte – pikanterweise just von einem der Ihren aufgefordert, endlich Farbe zu bekennen. Es war 20.17 Uhr, als Siegfried Prokop, Vorstandsmitglied der Alternativen Enquetekommission, aufstand und die Referenten ohrfeigte: „Wir können doch nicht einfach so tun, als ob es Doping nicht gegeben hätte!“ Der Geschichtsprofessor der Humboldt-Uni weiter: Als der Leistungssport 1972 seiner wahren Existenzberechtigung, dem Kampf um die internationale Anerkennung der DDR, entbunden worden sei, hätte man ihn auch wieder auf ein vertretbares Normalmaß zurückstutzen müssen: „Der Sport war viel zu teuer. Er hat dieses kleine Land zugrundegerichtet.“

Tja, plötzlich kam Leben in die Debatte: Günther Ehrbach, zuletzt Staatsekretär Sport, geißelte sich gekonnt selbstkritisch, „wir hatten 1972 nicht die Größe, mit dem Leistungssport Schluß zu machen und die anderen anzuklagen, die mit diesen Wunderpillen immer schneller wurden.“ Nein, die DDR sei auf den bereits im Westen auf Volldampf laufenden Dopingzug aufgesprungen. Mit dem großen Unterschied: „Bei uns galt der Grundsatz ,Gesundheit vor Medaillen‘.“ Genau! Gestatten, der prominente Zwischenrufer – Klaus Eichler, 1988 Nachfolger von Manfred Ewald auf dem einflußreichsten Sportposten des Präsidenten des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB): „Man kann doch Sportlern nicht vorschreiben, sie sollen auf einmal langsamer laufen!“ Und: 1,3 Milliarden DDR- Mark für den Sport, davon bis zu 400 Millionen für den Leistungssport, mithin 0,48 Prozent des Staatshaushaltes, das sei alles andere als ruinös. Im Gegenteil! Der Sport habe der DDR die rechte Größe gegeben: „Bei mir lagen Sportminister aus der ganzen Welt vor der Tür, wollten sehen, wie das geht. Höher, schneller, weiter. Das geht immer weiter!“ Das war nach Veranstaltungsende und Eichler im verbalen Zweikampf mit Prokop, der hernach seinen Nachbarn kopfschüttelnd befragte: „Sag, wer war denn dieser Mann?“ Cornelia Heim