Grundverschiedene Auseinandersetzungen

■ betr.: Leserbrief „Aserbaidschan und Bosnien“ von Bernhard Cla sen, taz vom 10.6.94

Wenn Bernhard Clasen den Karabach-Konflikt allen Ernstes mit dem Krieg in Bosnien vergleicht, so zeigt er damit nur, daß er nicht willens oder nicht fähig ist, die Chronologie dieser beiden grundverschiedenen Auseinandersetzungen zurückzuverfolgen. Täte er dies, so müßte er wohl feststellen, daß er sich mit seiner Behauptung, die beiden Konflikte würden sich gleichen, ganz gewaltig in die Schublade seiner Klischees vergriffen hat, daß er schlichtweg unfähig ist, zwischen Opfer und Aggressor zu unterscheiden.

Zur Erinnerung: Als im Februar 1988 die Bevölkerung Armeniens und Berg-Karabachs friedlich die Vereinigung der beiden Gebiete forderte, waren es die Aseris, die umgehend mit blutigen Pogromen und grausamsten Gemetzeln an der armenischen Minderheit in Sumgait, Baku und anderen aserbaidschanischen Städten reagierten. Im Frühjahr und Sommer 1991 war es die aserbaidschanische Regierung (unterstützt von der Moskauer Zentrale), die die armenische Bevölkerung zu Zehntausenden gewaltsam aus Berg-Karabach deportieren ließ. Dutzende Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht, Hunderte Armenier willkürlich verhaftet und gefoltert. Wann hat Bernhard Clasen, wann haben die Grünen je dagegen protestiert?

Wo bleibt ihr Aufschrei über die Blockade Armeniens, die seit Herbst 1989 von Aserbaidschan und seit Frühjahr 1993 auch von der Türkei bis zu einer geradezu perversen Perfektion getrieben wird? Für Clasen jedoch scheint der Karabach-Konflikt erst zu dem Zeitpunkt seinen Anfang zu nehmen, da sich die Karabach-Armenier ernsthaft dagegen zur Wehr zu setzen begannen, aus ihrer Heimat „ethnisch hinausgesäubert“ zu werden. Hat er überhaupt zur Kenntnis genommen, daß das angeblich so am Boden liegende Aserbaidschan bis heute Karabach und die armenischen Grenzgebiete mit Bombenangriffen überzieht, bei denen es mit 500-Kilogramm- Bomben ganze Wohnblöcke in Grund und Boden legt?

Solange Bernhard Clasen nicht bereit ist, auch nur die grundlegendsten Hintergründe von ethnischen Konflikten zur Kenntnis zu nehmen, solange sollte er sich auch vor unüberlegten und diffamierenden Vergleichen ist acht nehmen. Elvira Kiendl, Gesellschaft für bedrohte Völker, Regensburg