Der Gemeinderat als Bürgerinitiative

■ Bei den polnischen Kommunalwahlen droht vielen Solidarność-Aktivisten trotz erfolgreicher Arbeit die Abwahl

Warschau (taz) – Wären da nicht die Flugblattverteiler, die Warschauer BürgerInnen würden womöglich glatt vergessen, daß am kommenden Wochenende Kommunalwahlen stattfinden. Nach den Parlamentswahlen vom Herbst sind den meisten Parteien sowohl die Luft als auch das Geld ausgegangen. Der Kommunalwahlkampf dümpelt vor sich hin. Dabei entscheidet sich am Sonntag, was von der Solidarność-Bewegung und der friedlichen Revolution von 1989 in Polen noch übriggeblieben ist.

Die ersten freien Kommunalwahlen fanden vor vier Jahren unmittelbar nach dem Machtwechsel statt. Frühere Kommunisten und Blockparteien hatten damals keine Chance, in fast alle Gemeinde- und Stadträte zogen Solidarność-Vertreter ein. Was sich seither in den Gemeinden getan hat, kann sich sehen lassen: von neuen Wasserleitungen über Kläranlagen bis zu städtischen Hallenbädern und Komitees, die sich um die schnelle Einrichtung von neuen Telefonen kümmerten. In manchen Orten wurden in den letzten vier Jahren mehr Häuser an die Kanalisation angeschlossen als in allen vierzig Jahren zuvor.

Anders als die Regierung sind die meisten Gemeinden schuldenfrei oder haben sogar Überschüsse, die sie in zusätzliche Sozialhilfe und Investitionen stecken. Vielerorts kanalisierte die kommunale Selbstverwaltung gesellschaftliche Energie, die anderswo in Bürgerinitiativen und Vereinen aufgeht. Jetzt entscheide sich, sagen besonders die abtretenden Räte, ob die Entwicklung noch umkehrbar sei. Denn einerseits haben sich die Solidarność-Aktivisten inzwischen in viele Gruppen und Grüppchen aufgespalten, andererseits werden die Erfolge auf unterster Ebene vielerorts überdeckt von der Erbitterung über die Härten der Wirtschaftsreformen.

So hat die Bauernpartei auf dem flachen Land die besten Chancen, da es ihr gelungen ist, die allgemeine Unzufriedenheit der Landbevölkerung mit der bisherigen Wirtschaftspolitik zu kanalisieren. In den Städten dagegen rechnen sich die Sozialdemokraten gute Chancen aus. Nutzen sie sie, käme es zu einem Rollback: Anstelle der Solidarność-Aktivisten, die Selbstverwaltungen zur Trutzburg gegen die „Warschauer Linken“ ausgebaut haben, hätten dann auch in den Kommunen die Sieger der letzten Parlamentswahlen, Exkommunisten und Bauernparteiler, das Sagen.

Ihr Hauptgegner ist die Freiheitsunion von Ex-Premier Mazowiecki, die sich zum Verteidiger der Selbstverwaltung aufgeschwungen hat. Dieser grundsätzliche Konflikt zwischen Regierung und Opposition bestimmt den Wahlkampf und verdeckt, daß es am Wochenende gar nicht um große Politik, sondern darum geht, ob mit lokalen Steuergeldern eine neue Brücke oder lieber ein Klärwerk gebaut werden soll.

Doch Polens Wähler haben noch aus einem anderen Grund keine leichte Entscheidung: Erst ab 40.000 Einwohner gibt es Parteilisten, darunter werden nur Personen gewählt. Und hier geht es wild durcheinander – in jeder Stadt eine andere Koalition mit verwirrenden Namen. Tritt ein, was Demoskopen voraussagen, werden Freiheitsunion und Exkommunisten die Städte, die Bauernpartei dagegen das Land beherrschen. Polens Stadt-Land-Konflikt würde dann noch deutlicher als bisher zutage treten: reformorientierte Städte kontra enttäuschte Provinzen.

Das Stadt-Land-Gefälle drückt sich bei den Wahlen bereits darin aus, daß in den meisten mittleren und großen Städten auf ein Mandat bis zu zehn Kandidaten kommen. Auf dem Land sind es wesentlich weniger, in manchen Ortschaften stehen die Wahlsieger schon heute fest: Auf ein Mandat kommt dort ein Kandidat, und dies auch nur, weil die Zentrale Wahlkommission dazu aufrief, sich für diese Wahlkreise zu melden. Andernfalls werde dort der Gemeinderat nur teilweise besetzt werden. Klaus Bachmann