2.000 Seiten Papier und ein Ministerpräsident

■ Abschlußbericht des Untersuchungsausschusses: Stolpe war zwar IM, wußte aber nichts davon / Minderheitenvotum kommt zu ganz anderen Schlußfolgerungen

Potsdam (taz) – Schon zwei Wochen vor der gestrigen Debatte des Potsdamer Landtags über die Stasi-Verstrickungen von Ministerpräsident Manfred Stolpe war für Brandenburgs SPD-Fraktion die Sache gelaufen: „Der Bericht – Ergebnisse, Analysen, Argumente“ titelte die Partei eine Broschüre zum Stolpe-Untersuchungsausschuß, die bereits Anfang Juni erschienen und gestern schon vergriffen war. Der Inhalt des Heftchens befaßt sich mit allem, was im Abschlußbericht des Auschusses den Regierungschef Manfred Stolpe entlastet. Die Minderheitenvoten des Bündnis-Abgeordneten Nooke sowie der CDU-Ausschußmitglieder Vette und Walther wurden ignoriert.

Ende April hatte der Untersuchungsausschuß mit den Stimmen der SPD, FDP und PDS das den Regierungschef in wesentlichen Punkten entlastende Werk angenommen. Mit den Anlagen und Dokumenten umfaßt der offizielle Abschlußbericht drei Bände mit zusammen knapp 2.000 Seiten. Über zwei Jahre hatte sich der Ausschuß mit den Fragen beschäftigt: War Stolpe als Inoffizieller Mitarbeiter für das MfS tätig? Hat der frühere DDR-Kirchenjurist im Auftrag der SED oder staatlicher Stellen versucht, die kirchliche Willensbildung zu beeinflußen? Und nicht zuletzt: Hat er oppositionelle Gruppen und Personen in ihrer Arbeit behindert?

Der Untersuchungsausschuß stellt im Abschlußbericht mehrheitlich fest: „Die Beweisaufnahme hat keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß Dr. Manfred Stolpe die staatliche Erwartungshaltung (an die Kirchen) als seine persönliche transportiert hat.“ Zu den Stasi-Kontakten des Regierungschefs kommt der Ausschuß zu einem ähnlichen Votum. Zwar wird einleitend im Bericht festgehalten, daß Stolpe „bewußt und gewollt“ seit Mitte der 60er Jahre bis einschließlich 1989 Kontakte zum MfS unterhalten und sogar Geschenke erhalten habe. Nicht nachzuweisen sei aber, daß Stolpe während dieser Zeit von seiner Registrierung als IM und von seinem Decknamen „Sekretär“ Kenntnis hatte. Vielmehr habe Stolpe keine „kirchenfremde oder -schadende Positionen“ vertreten.

Die Beweisaufnahme erbrachte, daß es weder im Falle von Freya Klier noch von Bärbel Bohley oder Rainer Eppelmann Anhaltspunkte gebe, die „einen persönlichen Einsatz Stolpes für deren Inhaftierung oder Ausbürgerung“ belege. In Sachen DDR-Verdienstmedaille, die Stolpe 1978 überreicht worden war, hält der Ausschuß fest: Der Vorwurf, Stolpe sei auf Vorschlag und durch Mitarbeiter des MfS ausgezeichnet worden, könne nicht verifiziert werden.

Zu ganz anderen Ergebnissen kommen da die Abgeordneten Nooke (Bündnis), Vette (CDU) und Walther (CDU), deren Minderheitenvoten in den Abschlußbericht mitaufgenommen wurden. Die drei Parlamentarier sind sich einig, daß Stolpe 1978 im konspirativen Objekt Wendenschloß vom MfS mit der Verdienstmedaille ausgezeichnet wurde. Nooke wirft Stolpe vor, er habe durch seine Kontakte mit dem MfS den Interessen der DDR-Opposition und der Kirche geschadet. Der Bündnis-Mann meint, daß Stolpe entsprechend des Stasi-Unterlagengesetzes „wissentlich und willentlich“ mit dem MfS zusammengearbeitet habe. In diesem Sinne fordert die CDU Stolpe zum Rücktritt auf. Doch der wollte gestern noch nicht einmal die Vertrauensfrage stellen. Anja Sprogies