Nicht auf den roten Teppich warten!

■ Die erste Lesbe im „Rat & Tat“-Team / Über die Möglichkeiten und Grenzen schwullesbischer Zusammenarbeit

„Ich glaube nicht, daß sich mit Schwulen zusammen das Patriarchat abschaffen läßt“, lacht Annette Mattfeldt. „Aber wieviel Gemeinsamkeit muß man eigentlich haben, um sich endlich auf den Weg zu machen?“ ergänzt Arno Oevermann. Zehn Jahre lang war das „Rat & Tat“-Zentrum, wo die beiden hauptamtlich mitarbeiten, rein schwul dominiert. Bevorzugt Bilder von Arschrosetten und Schwänzen zieren das Café, die Ausstellungen verbreiten ausschließlich schwule Ästhetik, Plakate kündigen schwule Ereignisse an – Lesben verirren sich höchst selten in die Theodor-Körner-Straße, denn „Frauen fühlen sich hier einfach überhaupt nicht angesprochen und sind auch nie mitgemeint“, so Annette. Das soll nun anders werden. Seit März arbeitet die Diplom-Psychologin als erste Lesbe fest im „Rat & Tat“-Team mit – auf einer BSHG-Stelle.

Bei der Gründung des Zentrums im Jahr 1982 war eine schwullesbische Zusammenarbeit angedacht, doch die Lesben steckten damals ihre Energien in die Gründung reiner Frauenprojekte. Dann, um 1988 herum, gab es die ersten hitzigen Auseinandersetzungen unter den Männern: Eine frauenfreie Zone sollten die Räume gefälligst bleiben, so wie in den Frauenprojekten eben Männer auch nichts zu suchen hatten. Als sich dann einige schwullesbische Gruppen im Zentrum installierten – die Coming-Out-Jugendgruppe war von Beginn an gemischt, eine Anonyme-AlkoholikerInnen-Gruppe arbeitete zusammen, die Bisexuellengruppe ebenfalls – „da hatte der Verein erstmals Schwierigkeiten damit; es gab wenig Interesse daran, daß es diesen Weg nimmt“, so Arno Oevermann.

Still und leise und vor allem ohne vorherige politische Debatte ist nun Annette Mattfeldt ins Team gekommen: Bereits seit 1990 macht sie ehrenamtliche AIDS-Beratung und brachte das Thema Frauen/Lesben und AIDS in ihre Arbeit ein.

Allein ihre Anwesenheit hat im Verein einiges ausgelöst: „Es haben sich eigentlich alle bemüht – mittlerweile schleift sich allerdings das alte Verhalten doch wieder ein und Verständigung bleibt bisweilen schon an sprachlichen Dingen hängen“, sagt Annette. Wenn in Flugblättern in den ersten Sätzen noch brav von schwullesbisch geschrieben wird, ist ab Zeile sieben aber wieder nur noch von Schwulen die Rede ist. „Das große I anzuhängen, haben wir aber mittlerweile gelernt“, findet Arno. Doch daß die großen Auseinandersetzungen noch kommen werden, da sind sich beide sicher.

Annettes Utopie wäre, daß „Lesben ganz selbstverständlich hierherkommen, gerne gesehen sind und ihre Themen hier lassen können und wiederfinden.“ Und im übrigen nicht warten, bis ihnen der rote Teppich ausgerollt wird. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg: „Wie soll ich hier eine Lesbengruppe installieren, wenn es gleichzeitig im Haus die Pädogruppe gibt?“, fragt die Psychologin. „Für mich ist das unvereinbar; das ignoriert das gesamte Thema Gewalterfahrung von Lesben.“

Die Sensibilisierung ist wohl das Thema schlechthin, heftige Diskussionen und gegenseitige Verletzungen sind vorprogrammiert. „Dennoch wünsche ich mir, daß mehr Lesben und Schwule über den Tellerrand gucken, ohne ihre Linie zu verlieren.“ Völlige Gleichmacherei für die ,gute Sache' sei dabei nicht das Ziel: „Wir können uns an den verbindenden Punkten, wie zum Beispiel der rechtlichen Gleichstellung treffen“, sagt Annette Mattfeldt, „das geht Lesben und Schwule an“.

Zudem sollten sich Lesben gefälligst auch mit der AIDS-Problematik auseinandersetzen: „Das Argument ,Wir werden ja ignoriert' ist mir da zu billig.“ Und wenn sich Unterschiedlichkeiten zwischen Lesben und Schwulen nicht ausräumen lassen? „Dann können wir uns an diesen Punkten trennen, ohne aber die Zusammenarbeit generell in Frage zu stellen.“

Bis dahin steckt der Teufel zudem noch im Detail: Angedacht ist, einmal wöchentlich im Café eine Lesbenkneipe stattfinden zu lassen, sofern die Klofrage – bisher nicht nach Weiblein und Männlein getrennt – geklärt werden kann. Doch wenn die Jungs erstmal draußen bleiben müssen, „wird es bestimmt zum Affront kommen“, ist sich Arno sicher.

Die Lesbenszene zumindest kann sich erstmal auf die Veranstaltung „Sex-Toys für Lesben“ im September freuen, für die Annette Frauen von „Sexclusivitäten“ aus Berlin engagiert hat.

Susanne Kaiser