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Doppelte Homo-Ehe – letzter Ausweg?

■ Erpreßbarkeit frißt Liebe auf / Null Chancen für binationale Beziehungen von Lesben und Schwulen

Was, wenn Juan die BVG-Karte vergißt und beim Schwarzfahren erwischt wird? Oder ins Krankenhaus muß? Alpträume bestimmten das Leben von Arno (38) und Juan (28) – bis ihre Beziehung schließlich daran scheiterte. Denn die bloße Anwesenheit des Südamerikaners Juan in Berlin stellte eine Straftat dar.

In einem anderen Fall, den ein schwules Paar – ein Partner ist Thailänder – jetzt durch alle Instanzen kämpfen will, kam das Oberverwaltungsgericht Berlin im Oktober 1993 nach 16 Urteilseiten voll kaum zu überbietendem Zynismus „Im Namen des Volkes“ zu der Feststellung, die beiden könnten sich ja weiterhin wechselseitig besuchen. Die Belastungen durch eine solche Reisebeziehung betrachte der Gesetzgeber „als hinnehmbar“. In einem ähnlichen Prozeß in Brandenburg rechnet sich ein Paar mehr Chancen aus – denn die neue Landesverfassung Brandenburgs schreibt die Gleichbehandlung von Schwulen und Lesben vor.

Juan und Arno sahen allerdings fast zwangsläufig nur einen Ausweg – die Eheschließung Juans mit einer deutschen Frau. Die beiden lebten in ständigen Ängsten: die Abhängigkeit, und nicht nur die finanzielle, wurde immer unerträglicher. Arno begann, Geld zu sparen, um eine heiratswillige Frau zu suchen – und fand eine Frau mit großen sozialen Problemen, die zur verbotenen Scheinehe bereit war – gegen 15.000 Mark, zahlbar in halbjährlichen Raten. Die Ehe wurde nie geschlossen. Je länger Arno und Juan das Risiko abwägten, um so erpreßbarer fühlten sie sich – denn die Scheinehe muß mindestens vier Jahre bestehen.

Ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Grüne im Berliner Parlament auf ausländerrechtliche Gleichstellung von eheähnlichen Lebensgemeinschaften mit Trauschein-Ehen wurde im Ausschuß von der CDU heterosexualisiert: Die Lesben und Schwulen wurden aus der Formulierung herausgestrichen, für unverheiratete Heteros wurde ein Kind mit nachweislich deutscher Vater- beziehungsweise Mutterschaft zur Pflicht erhoben.

All dies führte Arno schließlich zur Idee der „doppelten Homoehe“: Man müßte ein lesbisches Paar finden, das vor demselben Problem steht – und sich gegenseitig heiraten. Für mindestens vier Jahre wären dann beide Paare mit einer Art Unterpfand abgesichert. Doch noch während dieser entwürdigenden Suche ging die Liebe kaputt. Heute sieht sich Arno, der zuvor trotz seiner 38 Jahre noch nie eine feste Beziehung hatte, um sein Lebensglück, „die große Chance überhaupt“, betrogen. Und Juan lebt als nichtexistente, rechtlose Person in Berlin „im Untergrund“.

Lucy empfindet ihre Situation nicht so verzweifelt. Als US-Bürgerin hat sie zu Hause immerhin noch eine Krankenversicherung, und man nimmt ihr „als Weiße“ zudem ihren „Touristenstatus“ eher ab. Dennoch lebt sie mit ihrer deutschen Freundin Anne seit zweieinhalb Jahren in einer illegalen Situation, benutzt immer wieder andere Namen, um möglichst wenige Spuren zu hinterlassen. Reguläre Arbeit ist nicht drin. Geld verdient sie mit Putzjobs oder Sprachunterricht.

Thorsten (28) ist verzweifelt. Ponk (26) aus Malaysia ist seit drei Jahren seine große Liebe. „Ja, es geht um mein Lebensglück“, sagt Thorsten. Seit anderthalb Jahren bemühen sich die beiden um Ponks Umzug nach Berlin. „Seit einem Jahr ist uns klar, daß unsere einzige, winzige Chance eine Scheinehe wäre.“ Seit kurzem kennt Thorsten eine Kandidatin. Kostenpunkt: 10.000 Mark, Cash auf die Hand. Die Frau ist Alkoholikerin und Sozialhilfeempfängerin und möchte sich nicht auf Ratenzahlung einlassen, die eigentlich angebracht wäre, um Erpressungen in Form von „Nachforderungen“ vorzubeugen. Zu riskant. Jetzt sieht Thorsten voller Angst seinem nächsten Besuch in Kuala Lumpur entgegen. Denn er muß Ponk schon wieder enttäuschen: „Es ist ihm gar nicht zu vermitteln, wie schwierig das hier ist.“ Thorsten hat Angst, daß Ponk sich hingehalten vorkommt, daß die große Liebe zu Bruch geht. Auch er ist nun auf der Suche nach einem Lesbenpaar.

Im Hinblick auf Scheinehen aus Notwehr wird die Situation noch aussichtsloser und komplizierter, wenn die ausländischen PartnerInnen Flüchtlinge sind. Weil binationale schwule und lesbische Privattragödien mittlerweile Legion sind, fordert der Verein „Schwullesbische Internationale“ seit längerem „die Anerkennung nichtehelicher Lebensgemeinschaften, die für die ausländischen Partner zu einem eigenständigen, gesicherten Aufenthaltsrecht führen muß“.

Fazit: Wenn Lesben oder Schwule in Nicht-EU-Länder reisen, sollten sie vorher „Anti-Liebespillen“ schlucken, denn ihr Grundrecht auf Gleichheit und freie Entfaltung ihrer Person ist durch das deutsche Ausländerrecht drastisch eingeschränkt. Und das in einem Land, das dem Hetero nach wie vor erlaubt, sich Frauen als exotische Sexobjekte per Katalog und Trauschein einzukaufen, um sie dann hier in völliger Abhängigkeit zu halten. Bei Überdruß darf er die rechtlose Gattin ebenfalls dank Ausländerrecht schnell, billig und praktisch „entsorgen“ lassen. Tom Kuppinger

Sämtliche Vornamen und persönlichen Daten wurden zum Schutz der Betroffenen verändert. Betroffene Lesben und Schwule können sich derzeit allenfalls zu psychosozialen Beratungszwecken an die Lesbenberatung (Tel. 215 20 00, Mo, Di, Do 16 bis 20 Uhr) oder an die Schwulenberatung (Tel. 215 90 00, Mo, Mi 17 bis 20 Uhr, Di, Do 15 bis 18 Uhr) wenden. Beide Projekte sind in der Kulmer Straße 20a, 2. Hof. Dort können auch Möglichkeiten zum Austausch mit anderen Betroffenen erfragt werden.

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