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Von wegen Sodom und Gomorrha

Heute beginnen in den USA die „Gay Games“, die inoffiziellen Olympischen Spiele der Schwulen und Lesben / Trotz hoher Teilnehmerzahl hält sich die Begeisterung in Grenzen  ■ Aus New York Andrea Böhm

„Dabeisein ist alles“ – so lautete einst das olympische Motto des Baron Pierre de Coubertin. Der Mann hätte sich kaum träumen lassen, daß dieser Gedanke knapp hundert Jahre später bei den Olympischen Spielen der Schwulen und Lesben weitaus lebendiger ist als bei der internationalen Medaillenhatz der SpitzensportlerInnen. Wobei an dieser Stelle gleich zwei Fehler zu korrigieren sind: Erstens bleibt den Schwulen und Lesben bis auf weiteres das Adjektiv „olympisch“ versagt. Das Nationale Olympische Komitee der USA untersagte seinerzeit dem Gründer der „Gay Games“, Tom Waddell, per Gerichtsbeschluß, die ersten Sportwettkämpfe der Schwulen und Lesben 1982 in San Francisco als „Olympic Games“ zu bezeichnen. Zweitens legt Beverly Boyarsky vom PR- Büro der vierten „Gay Games“ in New York Wert auf die Feststellung, daß, in freier Interpretation des Coubertinschen Prinzips, jede/r an den Wettkämpfen teilnehmen kann – alt oder jung, FreizeitsportlerIn oder Profi, homo oder hetero, Männlein oder Weiblein. Wer die Geschlechtszugehörigkeit gewechselt hat oder gerade im Übergangsstadium ist, muß bei der Anmeldung nur angeben, welchem Lager er oder sie sich derzeit zugehörig fühlen. Pendeln gilt nicht.

11.000 AthletInnen aus 43 Nationen haben sich für die Spiele angemeldet. Die Statistiken täuschen allerdings darüber hinweg, daß die „Gay Games“ eine überwiegend (nord-)amerikanische Veranstaltung sind. Rund 8.000 der TeilnehmerInnen stammen aus den USA. Kanada stellt mit 690 SportlerInnen die zweitgrößte Gruppe, gefolgt von Deutschland mit knapp 600 AthletInnen. Ein-Mann oder -Frauschaften kommen aus Antigua, Bulgarien, Kolumbien, Costa Rica, Kuba, Zypern, Ghana, Irland, Israel, Malaysia und Oman angereist.

Die Zahlen machen es deutlich: Die „Gay Games“ sind längst keine sportliche Randveranstaltung mehr, sondern ein Sportereignis mit einem Budget von mittlerweile 6,1 Millionen Dollar, etablierten Sponsoren wie der Fluggesellschaft „Continental“, der Pharmafirma „American Preferred Plan“ oder der Bierbrauerei „Miller“. Justizministerin Janet Reno hat für die Zeit der „Gay Games“ die Einreiserestriktionen gegen HIV-Positive und Aidskranke aufgehoben – ein Schritt, der unter republikanischen Administrationen undenkbar gewesen wäre. Für die Abschlußveranstaltung der Spiele ist den OrganisatorInnen ein Clou gelungen: Sie konnten nach zähem Verhandeln das „Yankee Stadium“ anmieten, eine Institution des amerikanischen (Hetero-)Sports.

Die OrganisatorInnen rechnen mit einer halben Million ZuschauerInnen, die sich zwischen dem 18. und dem 25. Juni in New York drängeln werden – zusammen mit italienischen und irischen Fußballfans. Denn das „Giants Stadium“ im benachbarten New Jersey ist Spielort für die Fußball- Weltmeisterschaft. Darüber hinaus finden die „Gay Games“ in diesem Jahr parallel zu den Feten und Demonstrationen anläßlich des 25. „Christopher Street Day“ statt, zu dessen Abschlußdemonstration am 26. Juni mit einer Million TeilnehmerInnen gerechnet wird. So manchen AktivistInnen aus der Schwulen- und Lesbenszene ist das ein bißchen viel auf einmal. Die einen befürchten, daß die „Gay Games“ den politischen Charakter des „Christopher Street Day“ überschatten. Andere monieren, daß Sport mit schwuler und lesbischer Identität nichts zu tun habe.

Brian Pronger, Dozent an der „School of Physical Education“ der Universität Toronto und selbst Teilnehmer der „Gay Games“ 1990 in Vancouver, will in New York nicht zugange sein – „weil mir die Spiele zu ,mainstream‘ werden“. Daß Schwule und Lesben genauso weit springen, genauso hart zuschlagen und genauso verbissen nach Rekorden jagen können, sollte nach Ansicht des ehemaligen Schwimmsportlers nicht die Quintessenz der „Gay Games“ ausmachen. Pronger möchte mehr Erotik, mehr Spaß an der Bewegung und weniger Wettkampf und Medaillen sehen.

Diese Kritik wird von einer Minderheit geteilt. Die Mehrheit möchte die „Gay Games“ genauso haben, wie sie sind: Leistungsorientierte Wettkämpfe, an denen alle teilnehmen können; Anerkennung durch Sponsoren und etablierte Sportgremien; und die Freiheit, nach eigenem Belieben neue Disziplinen einzuführen. In New York werden dieses Jahr in 31 Sportarten Medaillen vergeben: Neben Leichathletik, Schwimmen oder Fußball stehen Sportklettern, asiatische Kampfsportarten und Bodybuilding auf dem Programm der „Gay Games“. Mit großer Spannung wird vor allem das gleichgeschlechtliche Eiskunstlaufen der Paare erwartet.

Natürlich gibt es auch in New York einige MitbürgerInnen, die hinter dem Sportereignis ein Trainingslager für Sodom und Gomorrha vermuten. In diesem Fall scharen sie sich um Ruben Diaz, einen Pfarrer der fundamentalistischen „Pentecostal“-Kirche aus der Bronx und lautstarken Unterstützer des neuen Bürgermeisters Rudolph Giuliani. Diaz mußte allerdings zur Kenntnis nehmen, daß Giuliani – ob aus innerer Überzeugung oder Gründen politischer Taktik – den Organisatoren der „Gay Games“ seine Unterstützung zugesagt hat, und sogar eine Grußadresse an die SportlerInnen richten wird. Von den angekündigten „massiven Protestaktionen“ war denn auch im Vorfeld wenig zu sehen. Den Grund hat Diaz womöglich selbst, ohne es zu wollen, in einer Zeitungskolumne formuliert: Millionen von Kindern und Jugendlichen würden die „Gay Games“ am Fernseher und in den Stadien verfolgen, warnte er düster, „und zu dem Schluß kommen, daß an Homosexualität gar nichts auszusetzen ist, wenn es so viele homosexuelle Athleten gibt“.

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