Mit dem Jeep auf lesbischen Spuren

■ Die Philosophin Giti Thadani, Begründerin des Archivs Sakhi in Neu-Delhi, erforscht das lesbische Leben Indiens

„Lesbisch sein bedeutet Exil“, sagt Gita Thadani. Doch die 33jährige Forscherin aus Neu-Delhi wollte sich weder ins westliche Ausland absetzen, noch sich in ein inneres Exil zurückziehen. „Ich habe immer meinen eigenen Weg gesucht.“ Mit 15 ging sie gegen den Widerstand ihrer Mutter von der Schule ab und lernte von da an autodidaktisch. „Geistig frei zu sein, war mir wirklich wichtig.“ Sie lernte sieben Sprachen, befaßte sich mit Philosopie, Linguistik und Kulturwissenschaft und verdiente ihren Lebensunterhalt als Taxifahrerin.

Mit ihrem Jeep begab sie sich auf die Suche nach Spuren lesbischen Lebens in Indien. Acht Jahre lang reiste sie quer durch Indien und stieß sie in alten Stätten und Tempeln auf jahrhunderte alte Darstellungen lesbischer Sexualität: Sandsteinreliefs, die Frauen beim oralen Sex zeigen, mehrere ineinander verschlungene Frauenkörper, sich umarmende Frauen. Im Ashapuri Museum in Madja Pradesh entdeckte sie eine weibliche Sandsteinstatue aus dem 9. Jahrhundert, deren Hand zur klar abgebildeten Klitoris gleitet. Eine Miniatur aus der islamischen Zeit zeigt zwei vollbusige nackte Frauen, die mit rotlackierten, langen Fingernägeln nach den Brüsten der anderen greifen. Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um von Männern produzierte Pornographie, so Giti Thadani.

Mehr als hundert Darstellungen lesbischer Sexualität hat sie gefunden. Indische Archäologen haben derartige Funde bislang völlig ignoriert. „Sie schweigen sich darüber aus.“ Ein renommierter Wissenschaftler sagte ihr klipp und klar, „was nicht in unser Konzept paßt, lassen wir weg.“ Es gebe nicht einmal Umdeutungen, sagt sie. Was als private Sammlung von Fotografien, Gemälden, Zeitungen, Büchern und Briefen begann, wurde vor anderthalb Jahren zum Grundstock für das Sakhi Archiv in Neu-Delhi, das sie zusammen mit drei anderen Lesben gründete.

Das Archiv beschreibt Thadani als ein Gedächtnis, das erst wiedergefunden werden muß. Für sie bedeutet es mehr als die Dokumentation von Geschichte, es ist auch Quelle für eine lesbische Identität. „Viele der Sanskrit-Texte aus der Zeit der Göttinnen sind falsch übersetzt, Wörter mit sexueller Bedeutung wurden in einen heterosexuellen Kontext gerückt oder gar nicht übersetzt.“

Belege für eine lesbische Existenz spürte sie auch im ersten indischen Gesetzbuch auf, das vor etwa 2.000 Jahren entstand. Gleich zwei Paragraphen des Menu-Buches stellten lesbische Sexualität unter Strafe: Wenn eine junge Frau „es“, wie es wörtlich heißt, mit einer anderen jungen Frau „machte“, mußte sie dem Vater den doppelten Brautpreis zahlen, weil diese dann nicht mehr verheiratet werden konnte. Sie wurde außerdem mit zehn Peitschenhieben bestraft. Ältere Frauen wurden noch härter bestraft: Man hackte ihnen Finger ab, scherte ihnen den Kopf und trieb sie auf einem Esel durchs Dorf.

„Männer, die Sex mit Männern hatten, brauchten sich dagegen nur zu baden, um sich davon zu reinigen“, sagt Thadani. Nach ihrer Interpretation dienten diese Gesetze damals der Durchsetzung einer patriarchalen Gesellschaftsform. Mit den alten Quellen will Thadani aber auch einen Mythos der Gegenwart zerstören, nämlich die weit verbreitete Annahme, daß Homosexualität eine westlich dekadente Erscheinung sei.

„Sexuelle Akte gegen die Ordnung der Natur“ stehen heute noch unter Strafe, auch wenn sie von den britischen Kolonialmächten eingeführt wurden. Das Strafmaß liegt zwischen zehn Jahren und lebenslänglich. Das Gesetz dient in erster Linie als Handhabe für Erpressungen und willkürliche Verhaftungen durch die Polizei. Es gibt Fälle, bei denen Väter den Paragraphen benutzen, um lesbische Beziehungen ihrer Töchter zu zerschlagen. Schwulengruppen, die nicht nur in Delhi und Bombay, sondern mittlerweile überall im Land entstehen, setzen sich für die Abschaffung dieses Gesetzes ein. Das wird von den Politikern ignoriert.

Eine Öffnung für Lesben und Schwule ist allenfalls bei den Medien festzustellen. Ein privates Fernsehprogramm sendete einen Beitrag über die im Archiv aufbewahrten Funde. In einer anderen Sendung trat Giti Thadani offen als Lesbe auf. „Ich bin an einem Punkt, an dem ich nicht mehr zurückgehen kann“, sagt sie. In einem Land, in dem junge Lesben und Lesbenpaare Selbstmord begehen, um der Heirat zu entgehen, gehört dazu sehr viel. „Offen als Lesbe zu leben, bedeutet, die Arbeit zu verlieren, den eigenen Platz in den Gesellschaft zu verlieren.“ Die wenigen Frauen, die unter diesen Umständen zu einer lesbischen Identität finden, stammen aus der Mittelschicht.

In naher Zukunft sieht sie wenig Chancen für das Entstehen einer Lesbenbewegung, eine informelle und eher private Lesbengruppe gibt es bislang nur in Bombay. „Solange jede isoliert und versteckt lebt und keine kollektive Kraft entsteht, ist es kaum möglich, das Schweigen zu brechen.“ Dorothee Winden