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„Geputzt wird immer noch selber“

■ 20 Jahre liebevolles Chaos: Kinderladen „Bartels“ feiert Geburtstag Von Kai von Appen

„Guck mal, das sieht ja alles ganz anders aus, und die Kuschel-ecke war früher auch noch nicht da.“ Die beiden blonden Teenies im Flur staunten anerkennend, dennoch kam ihnen vieles in der zweiten Etage des Hinterhauses Bartelsstraße 65 bekannt vor. Denn vor Jahren tummelten auch sie sich tagsüber in den Räumen der „Kinderstube Altona“ - liebevoll „die Bartels“ genannt. Am Samstag feierte der Kinderladen – einer der letzten selbstverwalteten Überbleibsel der K-Gruppen-Epoche - 20. Geburtstag.

Der Verein war 1974 gegründet worden und ging aus zwei Kindergruppen hervor. „Die Wände und Decken haben wir damals selbst eingezogen“, erinnert sich Gründungsmitglied Helmut Meier an die Zeit, als die Eltern in Eigeniniative die Fabriketage renovierten. Mitgründer Martin Schmidt: „Wir bekamen damals eine Erzieherstelle bewilligt. Da wir offiziell zwei Gruppen waren, kam später noch eine weitere halbe Stelle dazu. Und da wir selber putzten, und die halbe Stelle dafür nicht in Anspruch nahmen, konnten wir zwei ganze Erzieher bezahlen. Der damalige Sachbearbeiter hat das alles mitgemacht, obwohl Kinderläden zu dieser Zeit mit Argwohn betrachtet wurden.“

Sieben Generationen Kids - über 200 Sprößlinge – sind inzwischen in der Bartels hochgepeppelt worden. Zum Teil mit nachhaltigen Folgen: Manche Beziehung, die heute noch anhält, hatte in der Bartels vor über einem Jahrzehnt ihren Ursprung.

Ganz ohne Spannungen sind die zurückligenden Jahre nicht gelaufen. Helmut Meier: „Irgendwann standen wir mit den Kindern vor der Tür, weil die Erzieher streikten. Später teilten sie uns mit, daß sie einen Erzieherruheraum forderten.“ Mutter Sibylle Bennighoff-Lühl ist stolz, daß sich die Prinzipien der Selbstverwaltung auch nach 20 Jahren noch bewähren: „Wir sind oft selbst erstaunt, wie gut es klappt.“

Alle 14 Tage finden Elternabende statt, wo Probleme und Konflikte diskutiert werden. Sibylle Benninghoff-Lühl: „Es herrscht eine solidarische Atmosphäre, auch wenn oft heftig diskutiert wird.“ Darüber, ob zu viel oder zu wenig geputzt wird oder ob die Kinder im Stehen pinkeln dürfen. Und Vater Manuel Osorio: „Das Kind wird nicht abgegeben und abends wieder abgeholt, sondern es wird an der Erziehung mitgewirkt.“

Auch wenn mittlerweile vier Erzieher den Nachwuchs hüten, die Eltern nicht mehr selber kochen und frühere „überpädagogische Konzepte“ inzwischen über Bord geworfen wurden, wird eine „Professionalisierung“ einhellig abgelehnt: „Wir sind eine der wenigen Kinderstuben, wo wir noch selber putzen“, beschreibt es Sybille Benninghoff-Lühl. Und Manuel Osorio fügt hinzu: „Bartels ist Chaos. Chaos, in dem die Kinder wichtige eigene Erfahrungen machen können.“

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